Entscheidungsstichwort (Thema)
Kürzung des Zugangsfaktors bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen weiterhin verfassungsgemäß. trotz Leistungsverbesserungen durch das RVLVG
Leitsatz (amtlich)
Die Kürzung des Zugangsfaktors für eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ist nicht deshalb verfassungswidrig geworden, weil der Gesetzgeber durch das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz; juris: RVLVG) weitere Leistungen eingeführt hat und die Kürzung des Zugangsfaktors der Sicherung der Finanzierungsgrundlagen diente.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 07.02.2017 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer höheren Altersrente für schwerbehinderte Menschen auf der Grundlage eines Zugangsfaktors von 1,0.
Bei der am … 1952 geborenen Klägerin ist seit 09.12.2010 (auf Grund eines gerichtlichen Vergleichs vom April 2014 rückwirkend) ein Grad der Behinderung von 50 anerkannt.
Am 19.04.2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen, eine Rente wegen voller Erwerbsminderung sowie eine Altersrente für Frauen.
Mit Bescheid vom 29.04.2014 bewilligte die Beklagte der Klägerin zunächst eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen rückwirkend ab 01.07.2013 in Höhe von monatlich 570,50 € (brutto). Dabei legte die Beklagte ihrer Rentenberechnung 22,7284 Entgeltpunkte, ermittelt aus den rentenrelevanten Zeiten und Entgelten, zu Grunde. Hieraus errechnete sie unter Berücksichtigung eines auf 0,892 verringerten Zugangsfaktors 20,2737 persönliche Entgeltpunkte. Die Kürzung des Zugangsfaktors von 1,000 auf 0,892 begründete sie mit der um 36 Kalendermonate vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente für schwerbehinderte Menschen, wobei sie für jeden Kalendermonat eine Kürzung des Zugangsfaktors um 0,003, mithin um insgesamt 0,108 (36 x 0,003) vornahm. Hinsichtlich der Einzelheiten der Berechnungsgrundlagen und Berechnungen wird auf die Anlagen zum Bescheid vom 29.04.2014 verwiesen. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2015 zurück.
Daneben bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 19.05.2014 rückwirkend ab 01.05.2013 bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (30.06.2018) eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 577,50 € monatlich (brutto), ab 01.07.2013 in Höhe von 588,92 € monatlich (brutto). Dem lagen 20,5843 persönliche Entgeltpunkte bei einem Zugangsfaktor von 0,904 zu Grunde. Im diesem Bescheid wies die Beklagte zusätzlich darauf hin, dass die ab 01.07.2013 zuerkannte Altersrente wegen Schwerbehinderung rückwirkend ab 01.07.2013 auf Grund der höheren Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht mehr geleistet werde.
Am 20.07.2015 hat die Klägerin gegen die Höhe der Altersrente Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Sie hat ausgeführt, dass sich die ursprüngliche Kürzung des Zugangsfaktors spätestens mit Erlass des zum 01.07.2014 in Kraft getretenen Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (BGBl. I S. 787; RV-Leistungsverbesserungs-gesetz) als verfassungswidrig erweise. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 11.01.2011 die gesetzliche Regelung zur Kürzung des Zugangsfaktors für verfassungsgemäß erachtet. Dies sei auch auf die Kürzung des Zugangsfaktors für Altersrenten übertragbar. Allerdings habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Begründung dazu Stellung genommen, unter welchen Bedingungen die Kürzung des Zugangsfaktors einer Verfassungsprüfung noch standhalte. Insbesondere habe es darauf hingewiesen, dass die Kürzung des Zugangsfaktors der Verminderung der Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung und mithin der Sicherung der Finanzierungsgrundlagen dienen sollte. Allerdings sei mit dem RV-Leistungsverbesserungsgesetz nachträglich ein Mehrausgabengesetz für die gesetzliche Rentenversicherung verabschiedet worden, das ca. sechs Milliarden Euro Mehrkosten pro Jahr verursache. Damit habe der Gesetzgeber offensichtlich das Ziel, die Finanzierungsgrundlagen zu sichern, endgültig zum 30.06.2014 erreicht. Mithin entfalle der für die Kürzung des Zugangsfaktors tragende Rechtfertigungsgrund der Sicherung der Finanzierungsgrundlagen, sodass ab diesem Zeitpunkt verfassungswidrig in eigentumsgeschützte Anwartschaften nach Art. 14 Grundgesetz (GG) eingegriffen werde. Insbesondere bedürfe es keines gesetzgeberischen Unterlassens für die Annahme einer Verfassungswidrigkeit, da die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts selbst als Grundlage und Argumentation für die ab 01.07.2014 eingetretene Verfassungswidrigkeit der Regelung des gekürzten Zugangsfaktors angeführt...