Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetz zur Einführung des Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte. Nichtberücksichtigung von Besonderheiten ≪hier junge Wachstumskasse≫. Verbindlichkeit der Umsetzungsvereinbarungen der Partner der Bundesmantelverträge
Leitsatz (amtlich)
1. Das WOPG (juris ArztWohnortG) enthält keine Möglichkeit, die Besonderheiten "junger Wachstumskassen" zu berücksichtigen.
2. Die Umsetzungsvereinbarungen der Partner der Bundesmantelverträge sind für die angeschlossenen Krankenkassen auch dann bindend, wenn die speziellen Umstände einer während des Jahres 2001 erfolgten Kassenneugründung nicht berücksichtigt werden.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.8.2006 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt ¼, die Beklagte ¾ der die Kosten beider Rechtszüge.
Der Streitwert wird auf 5.912,31 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt (nach erneuter Überprüfung) zuletzt noch die Zahlung eines von der Beklagten zurückbehaltenen Restbetrags der Gesamtvergütung für die Quartale 1/02 bis 3/03 in Höhe von 4.257,29 € (zu Beginn des Berufungsverfahrens noch 5.912,31 €).
Die Beklagte, am 1.4.2001 gegründete gesetzliche Krankenkasse mit Sitz außerhalb des Landes Baden-Württemberg, unterliegt dem mit Gesetz vom 11.12.2001 (BGBl. I, S. 3526 - WOPG) zum 1.1.2002 eingeführten Wohnortprinzip und ist eine so genannte “einstrahlende Krankenkasse„. Über die vertragsärztliche Versorgung ihrer im Bezirk der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) wohnenden Mitglieder werden Gesamtverträge abgeschlossen. Vertragspartner (u.a. des BKK-Gesamtvertrags vom 22.8.1978, SG-Akte S. 124) sind (hier) die Klägerin, die aus der zum 1.1.2005 vollzogenen Fusion der bis dahin im Land Baden-Württemberg bestehenden vier Kassenärztlichen Vereinigungen hervorgegangen ist, und - für die Beklagte - der Landesverband der Betriebskrankenkassen Baden-Württemberg (BKK-LV BW).
Mit dem zum 01.01.2002 in Kraft getretenen Gesetz zur Einführung des Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte (BGBl. I. S. 3526) (Wohnortprinzipgesetz - WOPG) sind Bestimmungen zur Berechnung der Gesamtvergütung für vertrags(zahn)ärztliche bzw. vertragspsychotherapeutische Leistungen für die bereichsfremden (nicht im Bezirk der jeweiligen KV ansässigen) Krankenkassen getroffen worden. Art. 2 § 1 Abs. 1 WOPG legt als Übergangsregelung hierfür fest, dass der Ausgangsbetrag für die für das Jahr 2002 erstmalig nach dem Wohnortprinzip zu vereinbarenden Gesamtvergütungen sich jeweils durch Multiplikation folgender Faktoren ergeben solle:
1. des Betrags, der sich bei einer Teilung der für das Jahr 2001 geltenden Gesamtvergütung durch die Zahl der Mitglieder der Krankenkassen ergibt;
2. der Zahl der Mitglieder der Krankenkassen mit Wohnort im Bezirk der vertragsschließenden Kassenärztlichen Vereinigung.
Die Zahl der Mitglieder der Krankenkasse ist nach dem Vordruck KM 6 der Statistik über die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung zum 1.7.2001 zu bestimmen.
Art. 2 § 1 Abs. 1 WOPG sieht also eine Ermittlung der Gesamtvergütung nach Kopfpauschalen vor. Ergänzende Regelungen zur Umsetzung des WOPG haben der BKK-Bundesverband und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) in einer dem Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) als Anlage 14 beigefügten Vereinbarung festgelegt (siehe S. 182 - 195 SG-Akte); die Vereinbarung ist Bestandteil des BMV-Ä. In § 3 Anlage 14 BMV-Ä sind Bestimmungen zur Festlegung des Ausgangsbetrags nach Art. 2 § 1 Abs. 1 WOPG getroffen. Weitere Einzelregelungen sind in Protokollnotizen zu Anlage 14 BMV-Ä festgehalten.
Für die Jahre 2002 und 2003 haben die (vormalige) KV Nordwürttemberg und der BKK-LV BW Vergütungsregelungen getroffen (SG-Akte S. 9, 40; im Folgenden: BKK-Vergütungsvereinbarung). In einem Schiedsspruch vom 30.5.2004 hatte das Landesschiedsamt Niedersachsen beschlossen, dass für die ab 1.1.2000 bis 31.12.2001 neu errichteten Betriebskrankenkassen die Kopfpauschale pro Mitglied und Quartal für den Zeitraum 1.1.2000 bis 30.9.2002 180 DM (92,03 €) für alle über die KV Niedersachsen abzurechnenden Leistungen betrage. Für den Zeitraum 1.10.2002 bis 31.12.2003 betrage die Kopfpauschale pro Mitglied und Quartal 195,19 DM für alle über die KV Niedersachsen abzurechnenden Leistungen (SG-Akte S. 148)
In den streitigen Quartalen weigerte sich die Beklagte, die von der Klägerin errechnete Gesamtvergütung (vollständig) zu zahlen. Auch die Abschlagszahlungen für die Quartale 1/03 und 2/03 wurden nicht vollständig entrichtet.
Wegen der ausstehenden Abschlagszahlungen für die Quartale 1/03 und 2/03 erhob die Klägerin bereits am 5.11.2003 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (Verfahren S 11 KA 5914/03). In diesem Verfahren trug sie vor, Abschlagszahlungen könne sie gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i. V. m. § 9 Abs. 4 BKK-Gesamtvertrag, § 4 Abs. 4 Satz 1 Anlage 14 BMV-Ä ...