Leitsatz (amtlich)
1. Auch nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses darf die beklagte Bundesrepublik Deutschland feststellende Verwaltungsakte zu Zusammenhangsfragen nur für Gesundheitsstörungen treffen, die während der Dienstzeit vorgelegen haben.
2. Das erhöhte Risiko, an einer multiplen Sklerose zu erkranken, ist nach einer neueren Studie vom 29.09.2013 in erster Linie durch genetische Faktoren erhöht. Der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand bestätigt somit die in den AHP wiedergegebene Lehrmeinung (Nr. 64 AHP 2008).
3. Für die Anerkennung im Wege der Kann-Versorgung muss bei einer multiplen Sklerose die Erkrankung in einem zeitlichen Anschluss an eine unter extremen Lebensbedingungen verlaufende Kriegsgefangenschaft aufgetreten sein.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 18. Februar 2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Im Streit steht noch die Anerkennung einer Multiple Sklerose (MS)-Erkrankung der Klägerin als Folge einer Wehrdienstbeschädigung, ein Ausgleich in Form einer Grundrente wird im Berufungsverfahren nicht mehr geltend gemacht.
Die 1981 geborene Klägerin stand nach erfolgreicher Ausbildung zur Bürokauffrau vom 01.09.2001 bis 31.08.2009 als Soldatin auf Zeit bei der Deutschen Bundeswehr in einem Wehrdienstverhältnis. Nachdem ihre Auslandsverwendungsfähigkeit nach Begutachtung festgestellt wurde (Sanitätsarzt H. vom 22.11.2006), befand sich die Klägerin vom 02.02. bis 27.05.2007 im Auslandseinsatz in Bosnien und Herzegowina, nämlich in dem Feldlager R., einem im Januar 1997 von der Bundeswehr bezogenen und am 04.12.2007 an die Armee von Bosnien-Herzegowina zur Nutzung übergebenen Feldlager. Dort war sie im Transportwesen und als Kraftfahrer eingesetzt (Bl. 148 WDB-Akte).
Nach ihrer Rückkehr wurde die Klägerin wegen eines beklagten Kopfschmerzes am 29.08.2007 radiologisch untersucht. Die Magnetresonanztomographie (MRT) ergab jedoch einen altersgemäßen Normalbefund (Befundbericht vom 30.08.2007, Bl. 45 WDB-Akte). Am 28.04.2008 stellte sich die Klägerin im Kreiskrankenhaus E. wegen zunehmender Kopfschmerzen und beginnenden Parästhesien im rechten Fuß, dann auch links mit Gangunsicherheit, besonders auf Treppen, vor. Die durchgeführte kraniale Computertomographie (CCT) ergab indes keine Pathologien im Schädel (Bl. 56 WDB-Akte). Anlässlich der wegen erneut geltend gemachter Kribbelparästhesien und beidseitigem Kraftmangel der Beine mit Kopfschmerzen durchgeführten MRT der Halswirbelsäule (HWS) vom 13.05.2008 wurden intramedulläre herdförmige Läsionen auf Höhe HWK 4 im rechts dorsolateralen Myelon, z. B. im Rahmen einer Encephalomyelitis disseminata (= MS) gewertet (Bl. 61 WDB-Akte). Die Ärztin für Nuklearmedizin und Radiologie Dipl. med. L. äußerte nach weiterer MRT des Kopfes sowie ergänzenden Kontrastmittel (KM)-gestützten Sequenzen der HWS vom 15.05.2008 den dringenden Verdacht auf eine Encephalomyelitis disseminata mit florid entzündetem Herd im zervikalen Myelon dorsolateral links auf Höhe Oberkante HWK 5 (Bl. 64 WDB-Akte). Wegen des Verdachts auf eine entzündliche ZNS-Erkrankung wurde die Klägerin vom 21.05. bis 27.05.2008 im Bundeswehrkrankenhaus U. aufgenommen, wo eine entzündliche ZNS-Erkrankung ohne die noch fehlenden Liquor-Ergebnisse nicht sicher ausgeschlossen worden ist. Nachdem diese vorlagen, wurde aufgrund der Liquor-Diagnostik und den schriftlichen Befunden der auswärts durchgeführten MRT-Untersuchungen des Neurokraniums und der Neuroachse mit seitlicher und örtlicher Dissemination und der Anamnese mit einem als Schub zu wertenden klinischen Ereignis von einer Erstmanifestation einer MS ausgegangen (Entlassungsbrief vom 04.06.2008, Bl. 70 WDB-Akte). Anschließend wurde eine immunmodulatorische Therapie mit Interferon beta-1a (Rebif) eingeleitet, die die Klägerin abgesehen von Gliederschmerzen und gelegentlichen Kopfschmerzen gut tolerierte. Die fortlaufend durchgeführten Verlaufskontrollen im Bundeswehrkrankenhaus U. ergaben bei subjektiver Beschwerdefreiheit und unauffälliger klinisch-neurologischer Befundung keine neuen Entmarkungsherde und keine Größenprogredienz der bekannten Herde sowie keine Krankheitsaktivität (vgl. zuletzt endgültiger Entlassungsbrief vom 13.12.2009, Bl. 20 SG-Akte).
Am 16.03.2009, d. h. bei noch bestehendem Wehrdienstverhältnis, zeigte die Klägerin bei der Beklagten die MS als mögliche Wehrdienstbeschädigung zunächst noch ohne Angabe von Gründen an. Dem Antrag beigefügt waren ein Untersuchungsprotokoll vom 09.05.2001, zahlreiche Gesundheitskarten (G-Karte) aus dem Zeitraum vom 02.10.2001 bis 19.01.2009, Arztbriefe des Bundeswehrkrankenhauses U. und das truppenärztliche Gutachten des Stabsarztes Dr. K. vom 10.03.2009. In letztgenanntem Gutachten (Bl. 91 WDB-Akte) wird ausgeführt, die Klägerin führe die MS auf Umweltbedingungen während des EUFOR-Einsatzes vom 02.02. bis 27.05.2007 zurück. Dem Gutachten beigefügt war eine Auflistung der gesamt...