Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. eigenwirtschaftliche Tätigkeit. geringfügige Unterbrechung des versicherten Weges. bloßes Anhalten. Lebensmitteleinkauf
Leitsatz (amtlich)
Der Weg zur Arbeit wird nicht durch ein bloßes Anhalten des Versicherten, auch wenn dieses einem Lebensmitteleinkauf dienen soll, unterbrochen.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts R. vom 15. September 2011 und der Bescheid der Beklagten vom 16. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 19. April 2011 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass das Unfallereignis vom 20. Juli 2010 ein Arbeitsunfall gewesen ist.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Instanzen zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung des Ereignisses vom 20.07.2010 als Arbeitsunfall streitig.
Der 1982 geborene Kläger türkischer Staatsangehörigkeit wollte auf dem direkten Heimweg von der Arbeit in Rietheim auf einem übersichtlichen Stück einer Ortsdurchfahrt (Ermittlungsergebnis der Polizei, Bl. 21 V-Akte) links in ein Privatgrundstück einbiegen, um dort an einem Verkaufsstand Erdbeeren einzukaufen. Aufgrund des Gegenverkehrs musste er bis zum Stillstand abbremsen. Nach wenigen Sekunden fuhr die Unfallverursacherin aus Unachtsamkeit ungebremst hinten auf seinen Pkw auf (Fragebogen vom 13.08.2010 und ergänzende Angaben vom 24.08.2010). Die Unfallverursacherin gab in ihrer Beschuldigtenvernehmung am 20.07.2010 an, das klägerische Auto habe plötzlich angehalten, um nach links abzubiegen. Sie habe noch versucht zu bremsen, die Kollision aber nicht mehr vermeiden können. Das Strafverfahren wegen Körperverletzung gegen die Unfallverursacherin wurde mit Verfügung vom 14.09.2010 wegen fehlenden öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung und in Ermangelung eines Strafantrags eingestellt (16 Js 9967/10).
Der bei dem Auffahrunfall angeschnallte und daher nur leicht verletzte Kläger wurde aufgrund der geäußerten starken Schmerzen in das nächstgelegene Krankenhaus transportiert. Er erlitt eine Stauchung und Zerrung der Halswirbelsäule ohne Zeichen einer Commotio und wurde zunächst für arbeitsunfähig bis 24.07.2010 erachtet (Durchgangsarztbericht Dr. H. vom Kreiskrankenhaus T. vom 20.07.2010).
Die Beklagte zog die polizeilichen Ermittlungsakten und das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK bei und lehnte nach deren Auswertung mit Bescheid vom 16.11.2010 die Anerkennung des Ereignisses vom 20.07.2010 als Arbeitsunfall ab. Sie führte zur Begründung aus, grundsätzlich stehe es jedem Versicherten frei, sich im öffentlichen Verkehrsraum beliebig zu bewegen, sofern es sich um einen unmittelbaren Weg von der betrieblichen Tätigkeit nach Hause handele. Der innere Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Zurücklegung des Weges setze aber voraus, dass die Zurücklegung des Weges wesentlich dazu diene, die Wohnung zu erreichen. Maßgebend sei somit die Handlungstendenz, so wie sie insbesondere durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt werde. Beim Kläger sei zum Zeitpunkt des Unfalls die Handlungstendenz darauf ausgerichtet gewesen, an dem Straßenstand Erdbeeren zu kaufen. Nur aus diesem Grund habe er an der späteren Unfallstelle sein Auto zum Stillstand gebracht. Er habe somit eigenwirtschaftliche Ziele verfolgt, welche nicht im Zusammenhang mit dem grundsätzlich versicherten Weg stünden. Dies gelte selbst dann, wenn sich das Ereignis, welches Anlass für die private Handlungstendenz sei, auf dem grundsätzlich geschützten Heimweg ereignet habe.
Hiergegen erhob der Kläger am 20.12.2010 Widerspruch, zu dessen Begründung er ausführte, die Beklagte verkenne die Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz reiche. Denn er habe die Straße gerade nicht verlassen oder gar eine Richtungsänderung veranlasst. Er sei mit seinem Auto auf der eigentlichen Wegstrecke lediglich zum Stand gekommen und seine Zielrichtung zur Wohnstätte eingehalten als sich der Unfall ereignet habe. Es liege somit keine mehr als geringfügige Unterbrechung vor, da es an einer erheblichen Zäsur in der Fortbewegung in Richtung des ursprünglich aufgenommenen Fahrziels fehle, weil sie ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung, sozusagen im Vorbeigehen und ganz nebenher erledigt werden könne. Wenn keine Unterbrechung mit Ausnahme des Halts selbst erfolge, mithin der unmittelbare Weg nicht verlassen worden sei, so könne es nicht ausreichend sein, dass lediglich auf seine Absicht abgestellt werde. Der Kläger führte ferner aus, dass ganz kurze und geringfügige Unterbrechungen den Zusammenhang des Weges mit der Betriebstätigkeit selbst dann nicht beseitigten, wenn sie eigenwirtschaftlicher Natur seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.04.2011 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, sobald der Versicherte eigenwirtschaftliche Zwecke verfolge, werde der Versi...