Entscheidungsstichwort (Thema)

Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. quantitatives Leistungsvermögen. imperativer Harndrang

 

Leitsatz (amtlich)

Die Notwendigkeit, aufgrund eines imperativen Harndrangs häufig (alle halbe bis eine Stunde) eine Toilette aufsuchen zu müssen, rechtfertigt nicht die Annahme, dass der Versicherte nur noch unter betriebsunüblichen Bedingungen arbeiten kann.

 

Orientierungssatz

Zum Leitsatz vgl LSG Stuttgart vom 26.10.2010 - L 11 R 5203/09.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 15.08.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger macht einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung geltend.

Der 1956 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er erlernte keinen Beruf und war sowohl in Italien als auch in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder aufgrund des Bezugs von Lohnersatzleistungen im Sinne des § 3 Satz 1 Nr 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) wurden in Deutschland zuletzt bis 31.12.2010 entrichtet; insgesamt sind Beitragszeiten von mehr als fünf Jahren vorhanden. Seit 01.01.2011 bezieht der Kläger Arbeitslosengeld II. Der Kläger ist seit 25.07.2005 als schwer behinderter Mensch anerkannt, derzeit besteht ein Grad der Behinderung von 50. Einen am 18.01.2006 gestellten Antrag des Klägers auf Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17.10.2006 und Widerspruchsbescheid vom 26.09.2007 ab; Rechtsbehelfe hiergegen wurden nicht eingelegt.

Den streitgegenständlichen Rentenantrag stellte der Kläger am 06.06.2012. Den Antrag begründete er mit Depressionen, Schmerzen in allen Gelenken, Beckenschiefstand, Magengeschwüren, Darmentzündung, Gastritis, Hüftgelenksbeschwerden und Problemen mit der Prostata. Außerdem wies der darauf hin, dass er nachts 10 mal zum Wasserlassen aufstehen müsse. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 27.07.2012 ab.

Am 28.07.2012 legte der Kläger Widerspruch ein, den er mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 19.12.2012 begründete. Er machte geltend, er leide an erheblichen Schlafstörungen. Dies liege an einem Schlafapnoesyndrom und an einer zu kleinen Blase. Wegen seiner Blase müsse er nachts häufig die Toilette aufsuchen. Weiterhin bestehe eine Darmerkrankung, weshalb er sechs bis sieben Stuhlgänge pro Tag habe. Als Beleg für seine Angaben reichte er mehrere Arztbriefe seiner behandelnden Ärzte zu den Akten. Die Beklagte holte das Gutachten des Internisten Dr. B. vom 27.02.2013 ein. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger - ohne betriebsunübliche Pausen zu benötigen - noch leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne ständiges Stehen und Gehen und ohne längere Gehstrecken 6 Stunden und mehr ausüben könne. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.04.2013 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.

Am 22.04.2013 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Zur Begründung hat er geltend gemacht, das von der Beklagten eingeholte Gutachten werde seinen Gesundheitsstörungen nicht gerecht. Der Gutachter setze sich nicht mit der Frage auseinander, dass eine Toilette jederzeit erreichbar sein müsse und damit Tätigkeiten nur unter marktunüblichen Bedingungen möglich seien. Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen befragt und die Klage mit Gerichtsbescheid vom 15.08.2014, dem Kläger zugestellt am 20.08.2014, abgewiesen.

Am 10.09.2014 hat der Kläger Berufung eingelegt und diese am 24.02.2015 begründet. Er trägt vor, bei ihm bestünden erhebliche urologische Probleme in Form einer Pollakisurie (häufige Blasenentleerungen bei kleinen Harnmengen) und einer Nykturie (nächtlicher Harndrang). Der behandelnde Urologe habe bestätigt, dass selbst die Verrichtung einer körperlich leichten Berufstätigkeit nicht mehr möglich sei. Die Blasenkapazität betrage maximal 100 ml und die Miktionsmenge maximal 50 bis 60 ml. Dies bedeute, dass er jederzeit die Toilette erreichen können müsse.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 15.08.2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27.06.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Rente wegen voller bzw teilweiser Erwerbsminderung ab 01.06.2012 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Der Senat hat ein fachurologisches Gutachten eingeholt. Der Sachverständige Dr. R. hat in seinem Gutachten vom 25.06.2015 ausgeführt, die vorliegende Gesundheitsstörung bestehe im Wesentlichen in einer gutartigen Geschwulst der Prostata (Prostataadenom). Die Vergrößerung der Prostata führe zu erheblichen Störungen des Wasserlassens mit sehr häufiger Miktion bei kleiner Blasenkapazität. Die berufliche Beeinträ...

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