Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. fiktive Bemessung. Zuordnung zur Qualifikationsgruppe. Prognoseentscheidung. Vermittlungsmöglichkeit. förmlicher Berufsabschluss. Verdienstmöglichkeit. individuelles Leistungsprofil. Arbeitslosengeldvorbezug. rechtswidrig festgesetztes Bemessungsentgelt. vorläufige Entscheidung. kein Bestandsschutz
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Zuordnung zu der jeweiligen Qualifikationsgruppe iSd § 132 Abs 1 SGB 3 aF kommt es grundsätzlich darauf an, ob der Arbeitslose tatsächlich über den für die angestrebte Beschäftigung erforderlichen förmlichen Berufsabschluss verfügt.
2. Entlohnungen, die der Arbeitslose im Hinblick auf einen früheren Abschluss als erzielbar annimmt, sind für die Einstufung unerheblich.
3. Bei der Frage, auf welche Tätigkeiten die Bundesagentur für Arbeit ihre Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat, ist auch das individuelle Leistungsprofil, beispielsweise der zeitliche Abstand zum Ausbildungsabschluss und die Einschlägigkeit zwischenzeitlicher Erwerbstätigkeiten, zu berücksichtigen.
4. Für die Anwendung der Bestandsschutzregelung des § 131 Abs 4 SGB 3 aF ist grundsätzlich nur der rechtmäßige tatsächliche Bezug relevant. Ob auch der rechtswidrige Bezug geschützt ist, wenn der zu Grunde liegende Bewilligungsbescheid nicht mit Wirkung für die Vergangenheit oder Zukunft aufgehoben oder zurückgenommen worden ist, ist dann unbeachtlich, wenn die frühere Bewilligung vorläufig erfolgt ist. Soweit die Bundesagentur hierdurch deutlich macht, dass sie dem damaligen Bewilligungsbescheid keine Bindungswirkung beimessen wollte, entfaltet dieser für eine spätere Leistungsgewährung keinen Schutz iSd § 131 Abs 4 SGB 3.
Normenkette
SGB III a.F. § 132 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, § 131 Abs. 4, § 130 Abs. 1 S. 1, § 129 Nr. 1; SGB III n.F. § 149 Nr. 1, § 328 Abs. 1; SGB IV § 18 Abs. 1
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. Januar 2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt für die Zeit ab dem 19.01.2011 höheres Arbeitslosengeld.
Der am … 1958 geborene, geschiedene und kinderlose Kläger hat, nachdem er zuvor als Bank- bzw. Bürokaufmann tätig war, vom 01.09.1984 - 19.09.1986 bei der Verwaltungs- und Wirtschafts- Akademie Freiburg nach einem berufsbegleitenden Studium den Abschluss zum Immobilienwirt (Diplom-VWA Freiburg) erworben (Prüfungszeugnis vom 19.09.1986). Vom 01.07.1992 - 31.08.2000 war er sodann als selbständiger Immobilien- und Finanzmakler und Gutachter für unbebaute Grundstücke tätig. Nach Zeiten der Arbeitslosigkeit und einer Weiterbildung im kaufmännischen Bereich (Mai 2001 - Januar 2002) war er, unterbrochen von Zeiten der Arbeitslosigkeit, von Mai 2002 - Januar 2004 als Außendienstmitarbeiter bei der G. M. und als Bürokaufmann bei der Stadt P. versicherungspflichtig beschäftigt. Im Anschluss hieran war der Kläger nicht mehr erwerbstätig. Nachdem er vom 06.01. - 30.09.2004 von der Beklagten Arbeitslosengeld bezogen hatte, bewilligte ihm die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte mit Bescheiden vom 22.03.2005 und vom 04.12.2006 für die Zeit vom 01.10.2004 - 29.02.2008 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Nachdem der Kläger im Anschluss hieran wiederum vom 01.03. - 24.04.2008 Arbeitslosengeld von der Beklagten bezogen hatte (Änderungsbescheid vom 02.07.2008), er sodann vom 25.04.2008 - 19.05.2009 von der BKK ALP plus Krankengeld erhielt, bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 04.06.2009 Arbeitslosengeld ab dem 20.05.2009 in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 36,31 € für 450 Kalendertage. Sie führte aus, die Zahlungen erfolgten vorläufig auf Grundlage von § 328 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), die Arbeitslosengeldgewährung erfolge nach einem Arbeitsentgelt von 100,80 € täglich, es läge “die Regelbemessung„ zu Grunde. Selbige entnahm die Beklagte daraus, dass sie den Kläger in die Qualifikationsgruppe 1 einstufte und ein Dreihundertstel der Bezugsgröße als fiktives Arbeitsentgelt zu Grunde legte. Nachdem der Kläger bis zum 13.12.2009 - für 205 Kalendertage - Arbeitslosengeld in diesem Umfang bezog, erhielt er vom 14.12.2009 - 18.01.2011, unterbrochen durch den Bezug von Übergangsgeld vom 01. - 29.09.2010, erneut Krankengeld von der BKK ALP plus.
Nachdem sich der Kläger zum 19.01.2011 bei der Beklagten arbeitslos meldete, bewilligte diese dem Kläger mit Bescheid vom 28.01.2011 Arbeitslosengeld für 425 Tage ab dem 19.01.2011 in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 32,82 €. Sie legte hierbei ein Bemessungsentgelt von 85,17 € täglich, welches fiktiv nach der Qualifikationsgruppe 2 berechnet wurde, zu Grunde.
Hiergegen erhob der Kläger am 03.02.2011 Widerspruch, mit dem er geltend machte, das Bemessungsentgelt sei falsch festgesetzt. Er habe im Jahr 2009 Arbeitslosengeld unter Zugrundelegung der Qualifikationsgruppe 1 mit einem Bemessungsentgelt von 100,8...