Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwertbarkeit eines psychiatrischen Gutachtens bei Anwesenheit eines Dritten während der Exploration und Anamneseerhebung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein psychiatrisches Gutachten ist grundsätzlich nicht verwertbar, wenn bei der Exploration und Anamneseerhebung Dritte anwesend und beteiligt waren.

 

Orientierungssatz

Zum Leitsatz vgl LSG Berlin-Potsdam vom 17.2.2010 - L 31 R 1292/09 B.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 29. April 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1962 geborene Kläger schloss im Jahr 1982 eine Ausbildung als Tiefbaufacharbeiter ab und war in der Folgezeit in verschiedenen Arbeitsverhältnissen versicherungspflichtig beschäftigt, unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit. Zuletzt war der Kläger als Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes vom 9. August 2010 bis zum 31. Dezember 2012 versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 14. November 2012 bis zum 30. Januar 2013 bezog er Krankengeld, sodann vom 30. Januar 2013 bis 6. März 2013 Übergangsgeld, vom 7. März 2013 bis zum 22. September 2013 Arbeitslosengeld, vom 23. September 2013 bis zum 8. September 2014 wieder Krankengeld und sodann vom 9. September 2014 bis zum 21. Mai 2015 erneut Arbeitslosengeld.

Vom 30. Januar 2013 bis 6. März 2013 absolvierte der Kläger eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der Psychosomatischen Klinik S. W. Im Entlassungsbericht vom 14. März 2013 stellte der Leitende Arzt B. die Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung mit gegenwärtig mittelgradiger Episode, eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung (impulsiver Typ) sowie einer Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr. Der Kläger wurde arbeitsfähig entlassen. Weil der Kläger auf der Suche nach einer neuen Arbeit Hilfe benötige, seien Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beantragt worden.

Eine daraufhin von der Beklagten bewilligte, am 6. August 2013 begonnene und auf die Dauer von drei Monaten angelegte Maßnahme zur Berufsfindung und Eignungsabklärung im beruflichen Trainingszentrum R.-N. der SRH W. musste der Kläger laut der im Abschlussbericht enthaltenen fachärztlichen Stellungnahme der Psychiaterin Dr. M.-W. vom 7. November 2013 bereits am 19. August 2013 krankheitsbedingt vorzeitig abbrechen. Danach befand er sich vom 21. August 2013 bis zum 17. Oktober 2013 in stationärer Behandlung in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Psychiatrischen Zentrums N., wo er mit den Diagnosen rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADHS), Schlafapnoe, Adipositas und Tinnitus aurium entlassen wurde (Arztbrief des leitenden Arztes L. vom 15. November 2013).

Am 9. Oktober 2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Im Selbsteinschätzungsbogen (M 3) gab der Kläger folgendes an: „Durch die zwölf Stunden Nachtschicht täglich war ich zuerst einmal dauernd erschöpft. Der Druck im Geschäft und das Mobbing hat mich zunehmend kranker gemacht. So war es bisher bei jeder Arbeitsstelle. Mir ging es schlecht und ich habe die Stelle gewechselt. Deshalb war ich selten länger an einem Arbeitsplatz“.

In dem von der Beklagten daraufhin eingeholten sozialmedizinischen Gutachten vom 4. Dezember 2013 stellte der Internist Dr. B. folgende Diagnosen:

- Rezidivierende depressive Störung, zuletzt mittelgradige Episode, derzeit in Teilremission.

- Erworbenes ADHS, deutlich gebessert unter Ritalin-Therapie.

- Morbide androide Adipositas ohne Begleit- oder Folgeerkrankungen.

- Belastungsabhängige LWS-Beschwerden.

- Ehemalige Alkoholkrankheit: Seit 1994 abstinent.

Nach Entlassung aus der Rehabilitationsmaßnahme im März 2013 habe sich keine Verschlechterung ergeben. Der Kläger sei zwar nicht mehr leistungsfähig als Sicherheitsdienstmitarbeiter, aber vollschichtig leistungsfähig für rückengerechte, körperlich mittelschwere Tätigkeiten ohne besonderen Nervenstress.

Mit Bescheid vom 5. Dezember 2013 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab. Den hiergegen am 23. Dezember 2013 eingelegten Widerspruch wies sie nach Einholung weiterer Befundberichte der behandelnden Ärzte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2014 zurück und führte u.a. aus, Hinweise auf eine aktive Alkoholkrankheit ergäben sich aus den eingeholten Berichten sowie den vorliegenden Unterlagen nicht.

Hiergegen hat der Kläger am 27. Juni 2014 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens durch Dr. S., Facharzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie. Im Gutachten vom 4. Dezember 2014 hat Dr. S. folgende Diagnosen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet genannt:

1. Mittelgradiges depressives Syndrom auch ...

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