Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Bemessung. Berücksichtigung von pauschalierten Abzügen für Lohnsteuer. fiktiver Abzug bei echten Grenzgängern bei fehlender Lohnsteuerpflicht im Inland. Verfassungsmäßigkeit. Europarechtskonformität
Orientierungssatz
1. Auch bei einem echten Grenzgänger, der nach einem Doppelbesteuerungsabkommen nicht der Steuerpflicht im Inland unterliegt, sind bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes gem § 136, § 153 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 3 die gesetzlich pauschalierten Abzüge fiktiv zu berücksichtigen.
2. Dies verstößt nicht gegen Verfassungsrecht und nicht gegen Art 45 AEUV und Art 7 EUV 492/2011.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 26.08.2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe von Arbeitslosengeld (Alg) im Streit.
Die 1964 geborene, verheiratete und kinderlose Klägerin wohnt in Frankreich und war zuletzt vom 01.03.2013 bis zum 12.04.2018 als Bäckereiverkäuferin in Deutschland beschäftigt, wobei sie an jedem Arbeitstag nach Deutschland fuhr und nach Arbeitsende jeweils noch am selben Tag wieder zu ihrem Wohnort in Frankreich zurückkehrte. Die Tätigkeit wurde aus gesundheitlichen Gründen ab 2017 nur noch in einem Umfang von 20 Arbeitsstunden pro Woche ausgeführt. Vom 04.10.2017 bis zum 12.04.2018 bezog die Klägerin Krankengeld.
Am 08.02.2018 meldete die Klägerin sich bei der Beklagten zum 13.04.2018 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg für die Zeit nach der Beendigung ihres Krankengeldbezugs (Bl. 5 VA). Der Arbeitgeber teilte der Beklagten am 26.02.2018 mit, dass das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt sei und eine Freistellung ohne Weiterzahlung des Arbeitsentgelts vorliege (Bl. 10 VA).
Der ärztliche Dienst der Beklagten vertrat am 16.03.2018 die Auffassung, dass die Klägerin vollschichtig leistungsfähig sei.
Mit Bescheid vom 19.04.2018 bewilligte die Beklagte Alg für den Zeitraum vom 13.04.2018 bis zum 12.07.2019 mit einem Leistungsbetrag von täglich 16,67 € für eine Anspruchsdauer von 450 Kalendertagen (Bl. 19 VA). Hierbei ging sie von einem täglichen Bemessungsentgelt von täglich 41,69 €, der Lohnsteuerklasse V der Klägerin und einem täglichen Leistungsentgelt von 27,78 € aus, wonach sich bei einem Prozentsatz von 60 % der tägliche Leistungssatz von 16,67 € ergebe. Hieraus ergab sich für die Klägerin ein monatlicher Zahlbetrag für April 2018 von 300,06 €, für den Zeitraum von Mai 2018 bis Juni 2019 von 500,10 € und für den Monat Juli 2019 ein Zahlbetrag von monatlich 200,04 €.
Die Klägerin legte am 30.04.2018 Widerspruch wegen der Höhe des Alg ein (Bl. 23 VA). Sie sei aufgrund ihres Wohnsitzes in Frankreich steuerpflichtig und habe gemäß dem Doppelbesteuerungsabkommen und dem Zusatzabkommens DBA Art. 13 Abs. 8 vom 01.01.2016 auch Leistungen aus der deutschen Sozialversicherung wie das Alg im Wohnsitzland zu versteuern. Deswegen dürfe zur Vermeidung einer unzulässigen Doppelbesteuerung bei der Berechnung des Alg kein Steuerabzug in Deutschland berücksichtigt werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.05.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück (Bl. 26 VA). § 149 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) bestimme, dass bei Arbeitslosen wie der Klägerin, bei denen kein Kind im Sinne des EStG zu berücksichtigen sei, das Alg 60 % des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt) betrage (allgemeiner Leistungssatz). Leistungsentgelt sei gemäß § 153 Abs. 1 SGB III das um pauschalierte Abzüge verminderte Bemessungsentgelt. Abzüge seien danach eine Sozialversicherungspauschale in Höhe von 21% des Bemessungsentgelts, die Lohnsteuer sowie der Solidaritätszuschlag. Die Feststellung der Lohnsteuer richte sich nach der Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Jahres, in dem der Anspruch entstanden sei, als Lohnsteuerabzugsmerkmal gebildet gewesen sei, § 153 Abs. 2 Satz 1 SGB III. Der Bemessungszeitraum umfasse gemäß § 150 SGB III die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasse ein Jahr; er ende mit dem letzten Tag des letzten Versicherungsverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs und umfasse daher bei der Klägerin den Zeitraum vom 13.04.2017 bis zum 12.04.2018. Der Bemessungsrahmen sei bei der Klägerin gemäß § 150 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III auf zwei Jahre zu erweitern, da der Bemessungszeitraum aufgrund des Krankengeldbezuges weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalte, sodass der Bemessungsrahmen letztendlich bei der Klägerin den Zeitraum vom 13.04.2016 bis zum 12.04.2018 umfasse. Bemessungsentgelt sei gemäß § 151 Abs. 1 SGB III das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bem...