Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. Unterbrechung des versicherten Weges. sachlicher Zusammenhang. private Tätigkeit. Verrichten der Notdurft. Aufhalten des während der Unterbrechung wegrollenden Fahrzeugs. kein vorzeitiges Aufleben des Versicherungsschutzes. Nichtanwendung: Grundsätze zu einem Fortbestehen des Versicherungsschutzes bei einer pannenbedingten Reparatur auf einem Arbeitsweg
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Arbeitnehmer unterbricht den versicherten Weg mit dem eigenen Pkw zu einem beruflich bedingten Geschäftsessen, wenn er die Straße verlässt, in einen Waldweg einbiegt und dort aussteigt, um eine private Tätigkeit zu verrichten.
2. Zu einer solchen nicht versicherten privaten Tätigkeit gehört auch das Verrichten der Notdurft.
3. Der Versicherungsschutz lebt auch dann nicht vorzeitig wieder auf, wenn während der Unterbrechung das benutzte Fahrzeug wegrollt und es der Versicherte aufzuhalten versucht, weil er nur mit diesem Fahrzeug den versicherten Arbeitsweg fortsetzen kann. Die Grundsätze zu einem Fortbestehen des Versicherungsschutzes bei einer pannenbedingten Reparatur auf einem Arbeitsweg sind hier schon deshalb nicht anwendbar, weil der versicherte Weg bereits zuvor aus privaten Gründen unterbrochen war (zu diesem Punkt hat der Senat die Revision zugelassen).
Normenkette
SGB VII § 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1, 2 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, S. 2, § 67 Abs. 1, 3; SGG § 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, §§ 122, 128, 130 Abs. 1; ZPO §§ 165, 314
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts vom 17. Februar 2023 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für keinen Rechtszug zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Halbwaisenrente.
Er ist im Jahre 1999 geboren und seit Oktober 2018 Student.
Sein Vater (im Folgenden: der Versicherte), der im Jahre 1963 geboren war und im Inland wohnte, war als „Sales Manager“ bei einem Unternehmen der Software-Entwicklung (Arbeitgeberin) beschäftigt und insoweit bei der Beklagten gesetzlich unfallversichert.
Der Versicherte verließ am 21. Oktober 2021 (einem Donnerstag) gegen 18.30 Uhr mit seinem privaten Pkw seine Wohnung in M1 (Stadt R1, Landkreis B1). Am folgenden Morgen (22. Oktober 2021) gegen 07:46 Uhr wurde er leblos unter dem Auto liegend aufgefunden. Der Fundort lag in einem Waldweg („J1“) einige Meter ab von einer Spitzkurve der K 3554 (S1 Str.) zwischen den Ortsteilen M2 und S2 der Gemeinde M2 (Landkreis K1), etwa 450 m oberhalb der Abzweigung von der L 564 (A1).
Die alarmierte Polizei stellte bei dem Versicherten sichere Todeszeichen fest. Seine Hose war geöffnet. In der rechten Hand hielt er einen Schlüsselbund mit dem Autoschlüssel. In dem Pkw war kein Gang eingelegt und die Handbremse nicht angezogen. Auf dem Waldweg fanden sich Reifenspuren, vor dem Heck des Fahrzeugs waren Erde und Blätter angehäuft. Im Kofferraum lagen zwei Reisetaschen mit Bettzeug bzw. Kleidung und Waschzeug sowie ein Tablet. Das Mobiltelefon des Versicherten zeigte einen „verpassten Anruf“ und weitere Mitteilungen des späteren Zeugen H1 vom Vorabend zwischen 19:16 Uhr und 20:35 Uhr. In dem mobilen Navigationsgerät des Pkw war als Zielanschrift „F1 1, M3“ eingegeben. Es wurde festgestellt, dass der Zeuge H1 in der F1 5 wohnte. Die Ehefrau des Versicherten wurde von dem Todesfall unterrichtet. Sie teilte mit, der Versicherte habe einen Freund besuchen und am folgenden Morgen nach dem Frühstück zurückkommen wollen.
In dem Abschlussbericht vom 22. Oktober 2021 nahm die Polizei einen Tod durch Unfall an. Nach den Umständen am Fundort sei davon auszugehen, dass der Versicherte in den abschüssigen Waldweg hineingefahren und ausgestiegen sei, um seine Notdurft zu verrichten. Als der nicht gesicherte Pkw rückwärts ins Rollen geraten sei, habe er noch versucht, ihn am Kofferraum aufzufangen. Dabei sei er unter das Auto geraten, dort eingeklemmt worden und erstickt.
Auf Anweisung der Staatsanwaltschaft K1 unterblieb eine Obduktion. Das Mobiltelefon und das Tablet wurden ohne Auswertung den Angehörigen des Versicherten übergeben. Das Ermittlungsverfahren (400 UJs 18349/21) wurde am 25. Oktober 2021 eingestellt.
Am 26. Oktober 2021 erstattete die Arbeitgeberin bei der Beklagten Unfallanzeige. Sie teilte mit, nach Auskunft „anderer Personen“ sei der Versicherte auf dem Weg zu einem Geschäftsessen mit einem Kunden gewesen, Näheres sei ihr noch nicht bekannt. Am 27. Oktober 2021 und 15. November 2021 gab sie an, der Versicherte haben den Zeugen H1, einen Mitarbeiter eines Kundenunternehmens, treffen wollen. Auf Nachfrage vom 14. Dezember 2021 teilte sie am 12. Januar 2022 mit, das Geschäftsessen sei im Landgasthof „P1“ in M4 geplant gewesen. Abschließend holte die Beklagte bei dem Zeugen H1 schriftlich Informationen zu dem geplanten Ablauf ein, danach habe das Essen um 18.30 Uhr stattfinden sollen, reserviert habe man in dem Gasthof vorab nicht.
Mit getrennten Bescheiden vom 1. Februar 2022 lehnte die Bek...