Entscheidungsstichwort (Thema)

Rente wegen voller Erwerbsminderung. Funktionsunfähigkeit der Gebrauchshand. Verweisungsberufe. Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Versicherter, dessen Gebrauchshand nahezu funktionsunfähig ist, kann nicht auf Tätigkeiten als Pförtner (auch an der Nebenpforte), als Museumswärter oder Museumsaufsicht verwiesen werden.

 

Orientierungssatz

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl BSG vom 19.12.1996 - GS 2/95 = BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 und vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R = SozR 4-2600 § 44 Nr 1) besteht die Pflicht zur Benennung einer Verweisungstätigkeit, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Hierzu zählen Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Juli 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit wird geführt über einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Der Kläger mit Geburtsdatum … 1965 stammt aus der türkischen Schwarzmeer-Region. 1980 kam er ins Inland. Seit Oktober 1982 war er bei verschiedenen Unternehmen als ungelernter oder kurzfristig angelernter Arbeiter beschäftigt, zuletzt seit 1989 als “Schreiner„ bei der H. M. GmbH in G.. Er sei im Holzzuschnitt an verschiedenen Arbeitsplätzen eingearbeitet worden, Rohholzzuschnitt, Oberflächenbearbeitung und Maßzuschnitt. Längere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bestanden nicht.

Am 10. März 2002 wurde der Kläger im österreichischen Salzkammergut bei einem - nicht berufsbedingten - Autounfall schwer verletzt. Die Erstversorgung erfolgte im Landeskrankenhaus G.. Diagnostiziert wurden eine Gehirnerschütterung, eine offene Fraktur des rechten Oberarmknochens mit Verletzung des Nervus radialis, eine Fraktur der 12. Rippe links, eine Kopfplatzwunde sowie eine Distorsion der Halswirbelsäule (Verletzungsanzeige Dr. N. vom 13. März 2002). Am 14. März 2002 wurde der Kläger ins Klinikum O. (Unfall- und Handchirurgie) verlegt, wo er bis 05. April 2002 verblieb (Arztbrief Oberarzt Dr. L. vom 08. Mai 2002). Ab 10. April 2002 nahm er Krankengymnastik in Anspruch. Bei einem nochmaligen stationären Aufenthalt vom 27. bis 31. Mai 2002 erfolgte aufgrund des Zustands nach Durchtrennung des Nervus radialis rechts eine Nerventransplantation von drei Faszikeln (Arztbrief Oberarzt Dr. G. vom 28. Juni 2002). Internist Dr. K. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg in O. erstattete die Stellungnahmen vom 11. Juli und 16. Oktober 2002; körperlich leichte Tätigkeiten in wechselnder Haltung bei Einarmigkeit seien möglich und Reha-Maßnahmen zu empfehlen. Der Kläger bezog nach Ende der Entgeltfortzahlung vom 22. April 2002 bis 06. September 2003 Krankengeld, anschließend bis 31. August 2004 Arbeitslosengeld und bis 31. Dezember 2004 Arbeitslosenhilfe, die sodann von den Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) abgelöst wurde. Die Beklagte teilte dem Kläger unter dem 22. Oktober 2003 mit, die Voraussetzungen zur Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien erfüllt und über die Art der Leistungen erhalte er weitere Nachricht.

Für die damalige A. Versicherungs-AG erstattete zunächst Oberarzt Dr. G. vom Klinikum O. den Ärztlichen Bericht vom 16. November 2003, sodann Prof. Dr. W. von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. das unfallchirurgische Fachgutachten vom 29. August 2005 (mit Ergänzung vom 26./27. Oktober 2005) sowie Neurologe Prof. Dr. St. das Gutachten vom 12. Oktober 2005. Nach diesen Gutachten bestanden eine vollständige Schädigung des rechten Nervus radialis im Oberarmbereich, eine Kraftminderung der Muskulatur (Minderung der Ellbogen-, Handgelenks- und Fingerstreckung rechts) sowie subjektive Beschwerden mit Missempfindungen und Gefühlsstörungen an der Unterarmstreckseite und am Handrücken; es bestehe eine erhebliche Beeinträchtigung der Greiffunktion und der Geschicklichkeit der rechten Hand für einen Rechtshänder. Nach Angaben des Klägers setze er die rechte Hand zum Ankleiden und zum Zähneputzen ein.

Am 10. Januar 2006 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung. Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Z. (Anästhesiologie/Chirotherapie/Sozialmedizin) erstattete das Gutachten vom 03. Februar 2006. Er nannte eine hochgradige Kraftminderung und Bewegungseinschränkung des rechten Armes nach distaler Oberarmfraktur und Zerreißung des Nervus radialis, ferner eine Sensibilitätsstörung am rechten Unterschenkel nach Nerventransplantation. Es verbleibe bei der Empfehlung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. In den letzten ein bis zwei Jahren habe sich noch eine leichte Besserung ergeben. Es bestehe ein über sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten ohne besondere Anforderungen an die Motorik und Sensibilität ...

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