Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Erfüllung der Anwartschaftszeit. Nichtberücksichtigung von Beschäftigungszeiten in der Türkei. Voraussetzung für die Berücksichtigung von in einem EU-Mitgliedsstaat zurückgelegte Beschäftigungszeit. Vorliegen von Versicherungszeiten im Inland unmittelbar vor Geltendmachung des Leistungsanspruchs
Leitsatz (amtlich)
1. In der Türkei zurückgelegte Beschäftigungszeiten sind bei der Ermittlung der für die Gewährung von Arbeitslosengeld nach deutschem Recht zu erfüllenden Anwartschaftszeit nicht zu berücksichtigen.
2. Eine in einem EU-Mitgliedstaat zurückgelegte Beschäftigungszeit kann bei der Ermittlung der für die Gewährung von Arbeitslosengeld zu erfüllenden Anwartschaftszeit nur dann berücksichtigt werden, wenn zwischen der Beendigung der letzten Versicherungszeit in Deutschland und dem Antrag auf Leistungen keine weitere Versicherungszeit in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegt worden ist (Anschluss an EuGH vom 11.11.2004 - C-372/02 = SozR 4-6050 Art 71 Nr 4 und LSG Stuttgart vom 22.1.2020 - L 3 AL 2225/19).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 24.06.2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Arbeitslosengeld streitig.
Am 13.11.2013 schlossen der 1958 geborene Kläger und seine ehemalige Arbeitgeberin, die B GmbH, bei der er seit dem 01.12.2008 als Anlagenbediener beschäftigt war, einen Aufhebungsvertrag mit Wirkung zum 30.11.2013 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 182.647,02 €. In dem Vermerk über sein Gespräch mit der Beklagten vom 14.11.2013 ist festgehalten, dass der Kläger über seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld aufgrund des Aufhebungsvertrags disponieren wolle und sich bestenfalls am 15.11.2014 mit Wirkung zum 01.12.2014 arbeitslos melden solle. Ein wichtiger Grund für die Arbeitsaufgabe liege nicht vor. In diesem Fall trete keine Sperrzeit und somit auch keine Anspruchsdauerminderung ein. Ein Risiko bestehe hinsichtlich der Verfügbarkeit ab dem 01.01.2014 und des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen bei der Arbeitslosmeldung. Der Kläger hat ferner die von ihm am 14.11.2013 unterschriebene Erklärung abgegeben, wonach sein Anspruch auf Arbeitslosengeld erst am 01.12.2014 entstehen solle und er über die leistungsrechtlichen Konsequenzen dieser Erklärung umfassend beraten und informiert worden sei.
Der Kläger meldete sich am 22.12.2014 mit Wirkung zum 01.01.2015 arbeitslos und beantragte am 26.01.2015 die Gewährung von Arbeitslosengeld. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28.01.2015 ab. Er habe keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, da er in den letzten zwei Jahren vor der Arbeitslosmeldung weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig gewesen sei und damit die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe. Hiergegen legte der Kläger am 02.02.2014 unter Vorlage einer Arbeitsbescheinigung und eines Fragebogens bei eigener Kündigung oder Aufhebungsvertrag Widerspruch ein. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.2015 zurück. Aufgrund der am 22.12.2014 erfolgten Arbeitslosmeldung umfasse die Rahmenfrist die Zeit vom 22.12.2012 bis zum 21.12.2014. Innerhalb dieser Rahmenfrist seien, da der Kläger nur bis zum 30.11.2013 beschäftigt gewesen sei, nur 344 Kalendertage zu berücksichtigen, in denen er versicherungspflichtig gewesen sei. Der Kläger habe daher die Anwartschaftszeit nicht erfüllt, da er nicht mindestens zwölf Monate, also 360 Kalendertage, in einem Versicherungsverhältnis gestanden habe. Eine frühere persönliche Arbeitslosmeldung, die zu einer anderen Rahmenfrist führe, liege nicht vor. Zwar habe der Kläger am 14.11.2013 persönlich vorgesprochen und erklärt, dass sein Anspruch auf Arbeitslosengeld am 01.12.2014 entstehen solle. Eine Arbeitslosmeldung zum 01.12.2014 sei aber am 14.11.2013 nicht wirksam möglich gewesen, da eine Arbeitslosmeldung höchstens drei Monate vorher erfolgen könne.
Die hiergegen erhobene und unter dem Aktenzeichen S 4 AL 526/15 geführte Klage wies das Sozialgericht (SG) Heilbronn mit Gerichtsbescheid vom 04.02.2016 ab. Die hiergegen eingelegte und unter dem Aktenzeichen L 8 AL 883/16 geführte Berufung wies das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 23.03.2018 zurück. Die eingelegte und unter dem Aktenzeichen B 11 AL 29/18 B geführte Nichtzulassungsbeschwerde wies das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 24.07.2018 zurück.
Am 28.05.2019 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 28.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.02.2015. Er legte den Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung N vom 21.05.2019 vor. Darin ist für die Zeit nach dem 30.11.2013 eine ausländische Pflichtbeitragszeit vom 24.01.2014 bis zum 28.02.2014 („Türkei ... Allgemeines System ... AUSL“) festgehalten. Der Kläger ha...