Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. sachlicher Zusammenhang. Arbeitspause. eigenwirtschaftliches Interesse. besondere Betriebsgefahr. Luftschnappen auf dem Betriebsgelände. ausgewiesener Aufenthalts- und Raucherbereich. Unfall mit einem Gabelstapler
Leitsatz (amtlich)
1. Eine spezifische Betriebsgefahr, die zu einem Unfallversicherungsschutz auch in einer Zeit ohne betriebsbezogene Verrichtung führt, verwirklicht sich, wenn ein Beschäftigter, der sich zu einem arbeitsrechtlich gestatteten "Luftschnappen" in einem ausgewiesenen Pausenbereich auf dem Betriebsgelände aufhält, von einem Gabelstapler angefahren und verletzt wird.
2. Der Betrieb von Gabelstaplern ist eine spezifische Betriebsgefahr, der ein Beschäftigter im alltäglichen Straßenverkehr nicht ausgesetzt ist.
3. Der Unfallversicherungsschutz besteht bei Verwirklichung einer spezifischen besonderen Betriebsgefahr nicht nur im unmittelbaren "räumlich-zeitlichen" Umfeld des konkreten Arbeitsplatzes (zu diesem Punkt Revision zugelassen).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 27. Mai 2022 sowie der Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2021 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis vom 14. Januar 2021 um einen Arbeitsunfall handelt.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Ereignisses als Arbeitsunfall.
Der 1961 geborene Kläger wurde von der I GmbH, einem Unternehmen der Personaldienstleistung, als Monteur bei der J AG in L eingesetzt. Am 14. Januar 2021 begab sich der Kläger kurz vor 10 Uhr in den Außenbereich und hielt sich in einem ausgewiesenen Raucherbereich auf. Hierbei wurde er von einem mit einer Gitterbox beladenen Gabelstapler angefahren und am rechten Ellenbogen sowie dem rechten Kniegelenk verletzt. G diagnostizierte im Durchgangsarztbericht vom Unfalltag eine dislozierte proximale Unterarmfraktur rechts sowie eine Kniegelenksdistorsion rechts. Am 19. Januar 2021 folgte auf Basis der Diagnose „Monteggia like lesion“ mit Radiushalsfraktur und proximaler Ulnaschaftfraktur rechts eine operative Versorgung.
Die Arbeitgeberin schilderte der Beklagten am 15. Januar 2021 folgenden Unfallhergang: „Herr K stand auf dem J - Gelände auf dem markierten Fußgängerweg im Raucherbereich. Er stand unmittelbar hinter einem der Werkstore, direkt an der Grenze zur Straße. Hinter Herrn K fuhr ein Gabelstaplerfahrer beladen mit einer Gitterbox aus dem Tor und durch die glatten Straßenverhältnisse an diesem Tag geriet der Stapler etwas ins Rutschen und ist dabei beim Linksabbiegen an die Markierung des Fußgängerbereiches, an der Herr K direkt stand, gerutscht. Herr K stand mit dem Rücken zum Gabelstaplerfahrer, sodass er nicht bemerkte, dass der Gabelstaplerfahrer ins Rutschen geriet. Er wurde von der Gitterbox, die auf der Gabel transportiert wurde, von hinten angefahren. Herr K taumelte und fiel dann auf die linke Körperhälfte.“ Im Rahmen einer späteren Nachfrage der Beklagten teilte die Arbeitgeberin ergänzend mit, es sei dem Kläger jederzeit gestattet, den Arbeitsplatz zu verlassen, um eine Pause zu verrichten. Er sei in der Wahl des Pausenortes flexibel, an seinem Arbeitsplatz dürfe jedoch nicht gegessen werden.
Am 25. Januar 2021 kontaktierte eine Mitarbeiterin der Abteilung „Rehabilitation“ der Beklagten den Kläger telefonisch. Im hierzu erstellten Gesprächsvermerk hielt sie fest, die Arbeitsvorgaben des Klägers würden auf einem Monitor angegeben. Als am Unfalltag keine Arbeit angezeigt worden sei, habe sich der Kläger entschlossen, einen Kollegen zur Raucherpause zu begleiten. Er selbst rauche nicht, habe lediglich etwas frische Luft schnappen wollen. Zum Unfallzeitpunkt sei ein beladener Stapler aus einem Tor gefahren. Der Fahrer habe auf Grund der Ladung nicht richtig sehen können, habe dann den Sicherheitsbereich geschnitten und ihn erwischt, so dass er gestürzt sei. Bis zum Unfall habe er sich zwei bis drei Minuten im Raucherbereich aufgehalten.
Mit Bescheid vom 17. Februar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2021 entschied die Beklagte, der Kläger habe am 14. Januar 2021 keinen Arbeitsunfall erlitten. Der Aufenthalt im Raucherbereich sei eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit und stehe nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Entferne sich ein Beschäftigter zu privaten Zwecken vom Arbeitsplatz und ereigne sich ein Unfall durch einen Betriebsvorgang, dem er ohne die private Unterbrechung nicht ausgesetzt gewesen sei, so bestehe nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kein innerer Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit.
Hiergegen hat der Kläger am 19. Juli 2021 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, sein Arbeitsplatz beschränke sich nicht auf einen näher defini...