Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. obligatorische Anschlussversicherung. Voraussetzungen für das Vorliegen eines anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall. kein durchsetzbarer Rechtsanspruch auf Leistungen zur Absicherung im Krankheitsfall gegeben bei lediglich "zuwendungsberechtigten" Familienangehörigen eines Mitglieds einer Solidargemeinschaft ohne eigene Rechte und Entscheidung über Leistungserbringung nach Ermessen. keine Anwendung der Bestandsschutzregelung für Solidargemeinschaften nach § 176 SGB 5 auf Sachverhalte vor ihrem Inkrafttreten
Leitsatz (amtlich)
1. Die durch Gesetz vom 3.6.2021 (BGBl I, 1309) mit Wirkung zum 9.6.2021 eingeführte "Bestandsschutzregelung" für Solidargemeinschaften (§ 176 SGB V; vgl dazu Hahn, NZS 2022, 81) findet auf Sachverhalte vor ihrem Inkrafttreten keine Anwendung.
2. Ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall iS des § 188 Abs 4 S 2 SGB V erfordert die Zugehörigkeit zu einem Sicherungssystem, das den Mindestanforderungen an eine Krankheitskostenvollversicherung in der deutschen privaten Krankenversicherung entspricht (Anschluss an BSG vom 10.12.2019 - B 12 KR 20/18 R = BSGE 129, 265 = SozR 4-2500 § 188 Nr 1; BSG vom 20.03.2013 - B 12 KR 14/11 R = BSGE 113, 160 = SozR 4-2500 § 5 Nr 18). Notwendig ist dazu ein durchsetzbarer Rechtsanspruch auf Leistungen zur Absicherung im Krankheitsfall. Ein solcher durchsetzbarer Rechtsanspruch ist nicht gegeben, wenn die Klägerin selbst nicht Mitglied der Solidargemeinschaft ist, sondern lediglich "zuwendungsberechtigte" Familienangehörige eines Mitglieds ohne eigene Rechte und der Vorstand der Solidargemeinschaft nach freiem "Ermessen" über die Gewährung von Zuwendungen an die Familienangehörigen entscheidet.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 15.12.2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin bei der beklagten Krankenkasse in der Zeit vom 01.12.2014 bis zum 01.07.2016 versichert war.
Die 1956 geborene Klägerin ist verheiratet. Sie war bei der Beklagten von Oktober 1999 bis April 2009 familienversichert, von Dezember 2011 bis August 2013 als Beschäftigte pflichtversichert sowie von September 2013 bis November 2014 über den Bezug von Arbeitslosengeld durch die Bundesagentur für Arbeit pflichtversichert. Nach Vorlage einer Versicherungsbescheinigung der D1 über eine substitutive Krankenversicherung zum 01.12.2014 sowie einer Erklärung des Austritts durch die Klägerin bescheinigte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 18.12.2014 die Zeiten der Mitgliedschaft sowie das Ende ihrer Mitgliedschaft als Leistungsbezieherin zum 30.11.2014. Der Ehemann der Klägerin war in der Zeit vom 01.12.2014 bis zum 01.07.2016 Mitglied der E1 (E2 die Klägerin als Ehegattin ohne Einkommen dort zuwendungsbefugt. Eine substitutive Krankenversicherung in der bestand nicht.
Der 1997 gegründete E2 hatte in der streitigen Zeit folgende Satzung (Fassung vom 13.07.2013 ≪Bl. 38 der LSG-Akten≫ und vom 16.04.2016 ≪Bl. 46 der LSG-Akten≫):
„§ 1 Name, Sitz, Geschäftsjahr
...
§ 2 Zweck des Vereins
(1) Die E2 ist eine aufsichtsfreie Personenvereinigung gemäß § 1 Abs. 3 Ziff. 1 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und keine Krankenkasse oder Krankenversicherung.
(2) Zwecke des Vereins sind:
a. Die Mitglieder sichern sich gegenseitig rechtlich verbindlich eine umfassende flexible Krankenversorgung zu, die in Quantität und Qualität mindestens dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht;
b. die Stärkung von Eigenverantwortung und Solidarität der Mitglieder im Gesundheitsbereich. Die Mitglieder unterstützen sich gegenseitig bei Fragen der Lebensbalance, der Gesundheitspflege, der Krankenpflege und der Krankheitsbehandlung sowohl ideell als auch materiell. Sie gehen davon aus, dass verschiedene Methoden hierzu geeignet sein können (Methodenpluralismus);
c) die Unterstützung und Förderung einer Medizin und Pflege, die der körperlichen, seelischen und geistigen Natur des Menschen gerecht wird.
(3) Die Satzungszwecke werden insbesondere dadurch verwirklicht,
a. dass im Krankheitsfall jedes Mitglied eine umfassende und flexible Krankenversorgung erhält;
b. dass die Struktur des Vereins und die Formen der Zusammenarbeit das Prinzip der Subsidiarität einer zivilen Bürgergesellschaft zum Ausdruck bringen und dabei Individualität und Gemeinschaft in ein wechselseitig anregendes und förderliches Entwicklungsverhältnis bringen;
c. dass ein angemessenes Beitragsaufkommen, eine angemessene Rücklagenbildung und sonstige Risikoabsicherung sowie eine kostenbewusste Haushaltsführung sichergestellt wird.
(4) Mit Umsetzung der Satzungszwecke werden die Voraussetzungen einer anderweitigen Absicherung im Krankheitsfall gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bzw. vergleichbare Ansprüche gemäß § 193 Abs. 3 Satz2 Nr. 2 VVG erfüllt. ...
§ 3 Voraussetzungen und Erwerb der Mitgliedschaft
(1) Mitglieder de...