Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rückerstattungsanspruch gem § 112 SGB 10. Erstattungszahlung nach Ablauf der Ausschlussfrist gem § 111 SGB 10. unzutreffende Auslegung des § 111 SGB 10. keine unzulässige Rechtsausübung. mehrjährige Verwaltungspraxis. Entscheidung über die Leistungspflicht. Anerkennung einer Berufskrankheit. Verwirkung
Leitsatz (amtlich)
Zahlt ein Leistungsträger nach Ablauf der Ausschlussfrist des § 111 SGB 10 begründet dies einen Rückerstattungsanspruch nach § 112 SGB 10. Die Geltendmachung dieses Rückerstattungsanspruches ist keine unzulässige Rechtsausübung, selbst wenn die Zahlung nur deshalb verspätet erfolgte, weil die am Erstattungsverfahren Beteiligten übereinstimmend von einer unzutreffenden Auslegung des § 111 SGB 10 ausgegangen sind.
Normenkette
SGB X §§ 111-112
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 26.04.2013 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.221,50 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rückerstattung eines Betrags iHv 12.221,50 € gemäß § 112 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).
Die klagende Berufsgenossenschaft ist die Rechtsnachfolgerin der BG Chemie. Am 28.11.2006 unterrichtete diese die Rechtsvorgängerin der Beklagten - die Bayer BKK - über die Einleitung eines Berufskrankheiten-Feststellungsverfahrens wegen der Blasenkrebserkrankung des C.-P. H. (im Folgenden: Versicherter) und mit Schreiben vom 14.12.2007 über die Anerkennung einer Berufskrankheit beim Versicherten nach Nr. 1301 der Anlage der Berufskrankheiten-Verordnung.
Mit Schreiben vom 02.01.2008, bei der Klägerin eingegangen am 07.01.2008, machte die Bayer BKK einen Erstattungsanspruch hinsichtlich ambulanter und stationärer Behandlungskosten, Hilfsmittel, Stoma-Artikel sowie Inkontinenzartikel iHv insgesamt 15.066,43 € geltend. Der Betrag setzt sich wie folgt zusammen: Arztkosten für den Zeitraum vom 22.05.2006 bis 07.05.2007 iHv 542,66 €, stationäre Behandlungskosten vom 28.06.2006 bis 06.07.2006 und 25.09.2006 bis 11.10.2006 iHv 10.395,43 €, Kosten für Hilfsmittel im Zeitraum vom 11.10.2006 bis 20.11.2006 iHv 3.171,66 €, Stoma-Artikel vom 27.07.2007 iHv 910,14 € sowie Inkontinenzartikel vom 27.07.2007 iHv 46,54 €.
Im Februar 2008 beglich die Klägerin den Erstattungsanspruch vollständig iHv 15.066,43 €.
Mit Schreiben vom 05.05.2011 wies die Klägerin auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.03.2010 (B 2 U 4/09 R) hin und machte einen Rückerstattungsanspruch iHv 14.109,75 € bei der Bayer BKK geltend. Die Erstattung von Leistungen, die vor dem 07.01.2007 und somit 12 Monate vor Eingang der Anmeldung des Erstattungsanspruchs erbracht worden seien, sei ausgeschlossen. Die Arztkosten für den Zeitraum vom 22.05.2006 bis 07.05.2007 iHv 542,66 €, stationäre Behandlungskosten vom 28.06.2006 bis 06.07.2006 und 25.09.2006 bis 11.10.2006 iHv 10.395,43 € sowie Kosten für Hilfsmittel im Zeitraum vom 11.10.2006 bis 20.11.2006 iHv 3.171,66 € hätten nicht erstattet werden dürfen.
Mit Schreiben vom 10.05.2011 bestätigte die Beklagte den Eingang des Schreibens der Klägerin und verzichtete auf die Einrede der Verjährung.
Mit Schreiben vom 19.10.2011 setzte die Klägerin der Beklagten eine letzte Frist zur Begleichung der geltend gemachten Rückforderung bis zum 30.11.2011.
Mit ihrer am 18.05.2012 zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren in Höhe von 12.221,50 € fort. Sie beruft sich dabei auf die Entscheidung des BSG vom 16.03.2010 (B 2 U 4/09 R). Danach sei erstmalig eine Anmeldung der Erstattungsforderung der Beklagten am 07.01.2008 erfolgt. Wegen Fristablaufs sei zu diesem Zeitpunkt die Erstattung folgender Leistungen nach § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen gewesen: Arztkosten für den Zeitraum vom 22.05.2006 bis 06.01.2007 iHv 405,42 €, stationäre Behandlungskosten vom 28.06.2006 bis 06.07.2006 und 25.09.2006 bis 11.10.2006 iHv 10.395,43 € sowie Kosten für Hilfsmittel im Zeitraum vom 11.10.2006 bis 20.11.2006 iHv 1.420,65 €.
Mit Urteil vom 26.04.2013 hat das SG der Klage stattgegeben. In der Geltendmachung des Rückerstattungsanspruchs sei keine unzulässige Rechtsausübung zu erkennen. Auch die Voraussetzungen einer Verwirkung des Anspruchs seien nicht erfüllt. Das Urteil wurde der Beklagten mittels Empfangsbekenntnis am 14.05.2013 zugestellt.
Am 10.06.2013 hat die Beklagte hiergegen Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhoben. Zwar sei der Rückforderungsanspruch grundsätzlich begründet, es stehe ihm jedoch der Einwand der Verwirkung entgegen. Sämtliche Erstattungsansprüche, welche Leistungsfälle ab dem Jahr 2001 beträfen, seien von der Klägerin beglichen worden, obwohl sie nach dem Urteil des BSG vom 06.03.2010 verspätet angemeldet worden seien. Das Vertrauen der Beklagten gegenüber der Klägerin, dass diese bereits vorgenommene Erstattungen nicht zurückfordern würde, sei schutzwürdig. Die Za...