Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Logopädin in einer logopädischen Praxis auf der Basis eines Vertrages über eine Tätigkeit als freie Mitarbeiterin. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. keine übergeordnete Wirkung der Regelung in § 124 Abs 1 SGB 5 bezogen auf die sozialversicherungs- und beitragsrechtliche Rechtslage betreffend die konkret tätig werdenden Personen
Leitsatz (amtlich)
Zur Einstufung der Tätigkeit einer Logopädin als freie Mitarbeiterin.
Orientierungssatz
Der Regelung des Leistungserbringungsrechts in § 124 Abs 1 SGB 5 fehlt eine über das Leistungs- und Leistungserbringerrecht der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehende "übergeordnete" Wirkung auch bezogen auf die sozialversicherungs- und beitragsrechtliche Rechtslage in Bezug auf die konkret tätig werdenden Personen. Denn der Regelung kann keine determinierende Wirkung in Bezug auf die Frage des Vorliegens von Beschäftigung iS von § 7 Abs 1 SGB 4 entnommen werden (vgl BSG vom 24.3.2016 - B 12 KR 20/14 R = SozR 4-2400 § 7 Nr 29).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19.11.2020 und der Bescheid der Beklagten vom 31.08.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.02.2019 aufgehoben und es wird festgestellt, dass die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) als Logopädin in der Praxis des Klägers in der Zeit vom 01.03.2018 bis 31.10.2018 nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird in beiden Instanzen endgültig auf je 5.000 € festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des beklagten Rentenversicherungsträgers (Clearingstelle) und die darin getroffene Feststellung, wonach die Beigeladene zu 1) in ihrer Tätigkeit als Logopädin in der Praxis des Klägers im Zeitraum vom 01.03.2018 bis 31.10.2018 versicherungspflichtig beschäftigt war.
Der Kläger ist Logopäde und Diplom-Biologe; er betreibt eine logopädische Praxis in F. Die Praxis verfügt über mehrere Behandlungsräume, davon ist einer dieser Räume für den Kläger (Praxisinhaber) reserviert. Die anderen Räume standen damals den in der Praxis tätigen (freien) Mitarbeitern zu. Die Beigeladene zu 1) ist Logopädin. Im Januar 2018 schlossen der Kläger und die Beigeladene zu 1) einen Vertrag. Die Beigeladene zu 1) begann ihre Tätigkeit am 01.03.2018; sie übernahm als Logopädin Patienten, die zuvor von einer inzwischen ausgeschiedenen Mitarbeiterin betreut worden waren. Nicht alle Behandlungen führte die Beigeladene zu 1) in den Praxisräumen des Klägers durch. Etwa bei der Hälfte ihrer Patienten machte sie Hausbesuche, oder sie behandelte Patienten, die in Heimen wohnten.
Der Vertrag zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) über eine Tätigkeit als freie Mitarbeiterin vom 19.01.2018/30.01.2018 hat folgenden Inhalt:
[…]
2. Der freie Mitarbeiter bestimmt seine Tätigkeit in der Praxis bzw. im Rahmen von Hausbesuchen für die Praxis und auch seine Urlaubsnahme selbst; es erfolgt lediglich eine Abstimmung mit dem Praxisinhaber im Rahmen der gesonderten Patientenbestellungen und der sich daraus ergebenden Belegungsmöglichkeiten der Behandlungsräume.
3. Der freie Mitarbeiter ist nicht weisungsgebunden und unterliegt nicht den allgemeinen Praxisregelungen.
4. Der Praxisinhaber gestattet dem freien Mitarbeiter der Praxisräume und ihrer Einrichtungen und übernimmt für den freien Mitarbeiter den Abrechnungsverkehr mit den Sozialversicherungsträgern und den Privatpatienten. Als Vergütung erhält der Praxisinhaber 35 % des Abrechnungsbetrages der vom freien Mitarbeiter innerhalb eines Abrechnungszeitraumes erbrachten Behandlungsleistung [handschriftlich wurde ergänzt: 20 % für Hausbesuche. Für selbständig akquirierte IGEL-Leistungen sind von dem freien Mitarbeiter 15 % an den Praxisinhaber zu entrichten.] Nach Erhalt des Abrechnungsbetrages behält der Praxisinhaber diesen Anteil ein und bringt den verbleibenden Brutto-Betrag unverzüglich an den freien Mitarbeiter zur Auszahlung.
Die Abrechnung erfolgt auf der Grundlage der jeweils gültigen Vergütungsvereinbarung der Krankenkassenverbände für logopädische Leistungen bzw. des im Einzelfall mit einem Patienten vereinbarten Privathonorars. Eventuelle Korrekturen oder Stornierungen durch Krankenkassen oder andere Versicherungsträger werden jeweils in der nachfolgenden Abrechnung entsprechend berücksichtigt.
5. Der freie Mitarbeiter schließt eine ausreichende Berufshaftpflichtversicherung ab.
Anfallende Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, ferner Urlaubsvergütung, Weihnachtszuwendung sowie Leistungen bei Krankheit oder nach dem Mutterschutzgesetz werden vom Praxisinhaber nicht gezahlt. Für den Fall einer entsprechenden Inanspruchnahme durch Dritte stellt der freie Mitarbeiter den Praxisinhaber insofern von allen eve...