Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. stationäre Unterbringung. über die in einer Leistungs- und Vergütungsvereinbarung geregelten Leistungen hinausgehende Bedarfe. Anwendbarkeit des § 75 Abs 4 SGB 12. Ermessensreduzierung auf Null. Bedarfsdeckungsgrundsatz. fehlende Alternative

 

Orientierungssatz

1. Eine Leistungserbringung und Kostenübernahme nach § 75 Abs 4 SGB 12 kommt grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn der Leistungsberechtigte neben den in einer Leistungs- und Vergütungsvereinbarung zwischen dem Sozialhilfeträger und dem Leistungserbringer geregelten Leistungen weiterer Leistungen bedarf (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 17.12.2015 - L 23 SO 309/15 B ER).

2. Die Ermessensausübung im Rahmen des § 75 Abs 4 SGB 12 hat sich letztlich auch am Bedarfsdeckungsprinzip zu orientieren. Soweit der Sozialhilfeträger dem Hilfesuchenden, der bereits in einer Einrichtung gefördert wird, keine konkrete, zur Behebung seiner Notlage ebenfalls geeignete anderweitige Hilfemöglichkeit nachweist, muss er die Kosten grundsätzlich übernehmen, auch wenn eine Vereinbarung nach § 75 Abs 3 SGB 12 (darüber) nicht vorliegen sollte (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 11.12.2007 - L 23 B 249/07 SO ER = FEVS 60,11).

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. Januar 2018 wird abgeändert.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig ab dem 9. Mai 2018 bis längstens 31. August 2018, längstens jedoch bis zu einer Entscheidung einer Fallkonferenz nach der Anlage 1 (Leistungsvereinbarung gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII) Buchstabe G Ziff. 3 zur Vereinbarung gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII oder längstens bis zur Entscheidung über die Klage (S 7 SO 159/17), weitere Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten der Betreuung in der Wohnungsstätte “Haus L„ entsprechend dem Betreuungsvertrag vom 19. Januar 2018 jedoch nur im Umfang von weiteren 0,5 VK zu gewähren.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers des gesamten Rechtsstreits.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung dem Grunde nach gewährt und Rechtsanwältin W, U, B beigeordnet.

 

Gründe

I. Der Antragsteller begehrt vom Antragsgegner die Gewährung weiterer Eingliederungshilfe - EinglH - nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII.

Bei dem im Januar 1991 geborenen Antragsteller liegt ein frühkindlicher Autismus, eine mittelgradige Intelligenzminderung, Epilepsie, eine depressive Störung, eine Gastro-ösophageale Refluxerkrankung und ein Helicobacter pylori vor. Er lebt seit etwa acht Jahren in der Einrichtung der Beigeladenen.

Zwischen dem örtlichen Träger der Sozialhilfe, dem Landkreis Oder-Spree und dem Einrichtungsträger, der Beigeladenen, besteht eine Vereinbarung gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII. In der Anlage 1 dazu (Leistungsvereinbarung gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII) heißt es in Buchstabe G. Ziff. 3.: “Die individuellen Autismus-spezifischen Funktionsstörungen, die einen Personaleinsatz von mehr als 1:1 erfordern, … sind im Rahmen von Fallkonferenzen in Form von behinderungsbedingten Mehrbedarfen abzuklären.„

Der Antragsteller erhält Leistungen der stationären Eingliederungshilfe für Unterkunft und Betreuung entsprechend dem gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII mit der Einrichtung vereinbarten Kostensatz (zuletzt mit Bescheid vom 5. Mai 2017, Bl. 180 der Verwaltungsakten - VA). Zudem wurde dem Antragsteller von dem Antragsgegner über einen längeren Zeitraum ein Mehrbedarf im Umfang von täglich 0,75 Vollzeitkräften (VK) zuletzt für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis 31. Mai 2017 gewährt (Bescheid vom 7. März 2016, Bl. 57 VA).

Der Antragsteller schloss mit dem Beigeladenen zuletzt unter dem 19. Januar 2018 einen Betreuungsvertrag über Leistungen im sozialen Bereich (Bl. 126 der Gerichtsakte - GA). Zum Leistungsumfang verweist der Vertrag in § 1 Abs. 2 auf die Anlage 1 zum Betreuungsvertrag, in der es heißt: “Da mit dem durch den Kostensatz zugrunde liegenden Personalschlüssel die Autismus-spezifischen Besonderheiten für Herrn A nicht vollumfänglich abgesichert werden können (1:1 Betreuungsschlüssel in sieben Tagen in zwei Schichten), bedeutet das, dass für Herrn A keine bedarfsgerechte Betreuung zur Verfügung steht. Um die konzeptionellen Leistungen … sicherzustellen, ist nachfolgender zusätzlicher Betreuungsbedarf notwendig. Hierfür wird der vereinbarte Einzelfallhelfer bedarfsgerecht nach den im Folgenden genannten Modulen individuell und situationsbedingt eingesetzt. Die Erbringung der Module erfolgt kalendertäglich.„ In der Aufstellung der Module heißt es unter dem Punkt “Einzelbegleitung zur Tagesstruktur„ u.a.: “Derzeitiger Betreuungsschwerpunkt Einkaufen 2:1 (Selbstbehauptung, Aufbau von Sympathie)„ und unter dem Punkt “weitere Leistungen des Einzelfallhelfers können sein: ….

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Zusätzliche Begleitperson für Zahn-/Arztbesuche, ausschließlich in 2:1,

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Intensive Zuwendung in Krisensituationen, ausschließlich in 2:1.„

Weiter heißt es: “Das Ka...

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