Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags bei Verletzung der Aufzeichnungspflicht des Arbeitgebers
Orientierungssatz
1. Nach § 28p Abs. 1 S. 1 und 5 SGB 4 prüft der Rentenversicherungsträger bei dem Arbeitgeber, ob dieser seine Meldepflichten und sonstigen Pflichten nach dem SGB 4, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllt.
2. Der Arbeitgeber hat personenbezogen für jeden Beschäftigten getrennt nach Kalenderjahren Entgeltunterlagen zu führen. Die Aufzeichnungspflicht erfasst u. a. die den Beschäftigten gewährten kostenlosen Mahlzeiten.
3. Liegen aussagekräftige und auf einzelne individualisierbare Versicherte bezogene, die gestellten Mahlzeiten betreffende Entgeltunterlagen nicht vor, so ist der Rentenversicherungsträger nach § 28f Abs. 2 SGB 4 zur Schätzung berechtigt.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Antrags- und das Beschwerdeverfahren auf jeweils 24.683,23 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin vom 29. Oktober 2020 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. Oktober 2020 ist unbegründet. Das Sozialgericht hat es zu Recht und mit zutreffenden Gründen abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 28. Mai 2020, die als weltweit tätiges Unternehmen die gewerbliche Zucht von P u.a. an ihrem Betriebsstandort in N betreibt, gegen den Betriebsprüfungsbescheid der Antragsgegnerin vom 18. Mai 2020 - soweit von der Antragstellerin beantragt - anzuordnen.
Gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese auf Antrag ganz oder teilweise anordnen. Vorliegend hat der Widerspruch der Antragstellerin gegen den aufgrund des von der Antragsgegnerin durchgeführten Betriebsprüfungsverfahrens nach § 28p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) - Gemeinsame Vorschriften - für den Prüfzeitraum 1. Januar 2015 bis 31. Dezember 2018 ergangenen Bescheides vom 18. Mai 2020 über eine Beitragsnachforderung in Höhe von 77.734,96 € nebst Säumniszuschlägen (107,50 €) als Nebenkosten - soweit er hier nicht bereits von der Antragsgegnerin angeordnet worden ist (Aussetzungsentscheidung vom 10. Juni 2020) - gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung. Die Entscheidung, ob eine aufschiebende Wirkung - ganz oder teilweise - ausnahmsweise gem. § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer Abwägung einerseits des Suspensivinteresses der Antragstellerin mit dem angesichts der gesetzlichen Vorgabe in § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG grundsätzlichen Vorrang des öffentlichen Vollzugsinteresses auf der anderen Seite (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt in SGG, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 12b m.w.N.). Aus diesem bereits vom Gesetzgeber grundsätzlich geregelten vorrangigen Vollzugsinteresse von Entscheidungen über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich darauf entfallender Nebenkosten folgt zugleich, dass regelmäßig nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Interesse an der aufschiebenden Wirkung begründen können, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs, vorliegend mithin des Widerspruchs der Antragstellerin, als zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Insoweit müssen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen, um entgegen dem Regel-Ausnahmeverhältnis des Gesetzgebers das Aussetzungsinteresse höher zu gewichten. Umgekehrt sind die Anforderungen an die Erfolgsaussichten geringer, je schwerer die angefochtene Entscheidung wirkt. Insofern ist neben den wirtschaftlichen Verhältnissen in die Abwägungsentscheidung auch einzustellen, ob die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Letzteres - das Vorliegen einer unbilligen Härte im Hinblick auf ihre wirtschaftlichen Verhältnisse - hat die Antragstellerin im erstinstanzlichen Verfahren ausdrücklich verneint (Schriftsatz vom 18. September 2020) und auch im Beschwerdeverfahren seitens ihres Prozessbevollmächtigten nicht geltend gemacht (Schriftsatz vom 10. November 2020). Ausweislich des entsprechenden Hinweises (Nr. 12) zum Bescheid vom 18. Mai 2020 ist insofern im Übrigen zu berücksichtigen, dass nach § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB IV auch angesichts etwaiger bereits eingetretener wirtschaftlicher Folgen der gegenwärtigen Coronavirus-Pandemie die Stundung bzw. Ratenzahlung beantragt werden kann. Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung ist ferner zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin selbst im Eink...