Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Rentenversicherung: Rückwirkende Aufhebung eines Witwenrentenbescheides wegen nachträglicher Änderungen. Bösgläubigkeit bei unterlassener Kenntnisnahme eines Hinweises im Rentenbescheid zu den Mitteilungspflichten. Beginn der Rücknahmefrist bei grober Fahrlässigkeit des Leistungsbeziehers

 

Orientierungssatz

1. Die Unterlassung der Mitteilung des Beziehers einer Witwenrente, dass die Waisenrentenberechtigung seines Kind entfallen ist und damit der ihm diesbezüglich eingeräumte höhere Freibetrag zur Einkommensanrechnung bei der Witwenrente nicht mehr geltend gemacht werden kann, stellt eine grob fahrlässige Pflichtverletzung des Rentenbeziehers dar, die auch zu einer rückwirkenden Aufhebung und Neufestsetzung des Rentenanspruchs berechtigt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn im Rentenbescheid ein Hinweis auf die entsprechende Mitteilungspflicht enthalten war. Auf die tatsächliche Kenntnisnahme des Hinweises durch den Rentenempfänger kommt es insoweit nicht an, solange nicht ein Gebrechen vorlag, dass die Kenntnisnahme ausschließt oder die Bescheide besonders kompliziert und umfangreich waren.

2. Die Jahresfrist für eine Rücknahmeentscheidung, beginnt bei grober Fahrlässigkeit als Rücknahmegrund erst dann, wenn die Behörde Kenntnis davon erlangt, dass der Leistungsberechtigte die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Dabei beginnt die Rücknahmefrist regelmäßig erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen, da erst dann die Frage beantwortet werden kann, ob eine grobe Fahrlässigkeit auf Seiten des Betroffenen vorlag.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Erstattung überzahlter Rentenbeträge in Höhe von 1.706,69 Euro.

Der 1930 geborene Kläger ist Witwer der am verstorbenen Versicherten A Z. Aus der Ehe ist die 1980 geborene Tochter A hervorgegangen.

Der Kläger bezieht seit dem 01. Juni 1996 große Witwerrente nach der verstorbenen Versicherten (Bescheid vom 19. Juli 1996). Die Rente belief sich ab dem 01. September 1996 auf 827,53 DM monatlich brutto.

Auf Seite 4 des Bescheides unter Mitteilungspflichten hieß es u. a. “Der zusätzliche Freibetrag für waisenberechtigte Kinder wird grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes berücksichtigt. Über diesen Zeitpunkt hinaus ist eine Berücksichtigung längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres für ein Kind möglich, das sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet oder ein auf gesetzlichen Vorschriften beruhendes freiwilliges soziales Jahr / freiwilliges ökologisches Jahr leistet oder infolge körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. (…) Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns folgende Tatsachen unverzüglich mitzuteilen:

- Beendigung oder Unterbrechung der Schul- oder Berufsausbildung (…).„

(…)     

Soweit Änderungen Einfluss auf den Rentenanspruch oder die Rentenhöhe haben, werden wir den Bescheid - auch rückwirkend - ganz oder teilweise aufheben und zu Unrecht erbrachte Leistungen zurückfordern.„

In der Anlage 8 zu dem Bescheid findet sich die Ermittlung des auf die (Witwer-)Rente anzurechnenden Einkommens ab dem 01. Juni 1996 bzw. ab dem 01. Juli 1996. Auf der Seite 1 unten sowie auf der Seite 2 unten findet sich jeweils die Ausführung: “Der Freibetrag erhöht sich für jedes waisenberechtigte Kind um das 5,6-fache des aktuellen Rentenwertes: (…) Zu berücksichtigen ist ein Kind = 258,89 DM / 261,35 DM„.

Mit Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 1997 wurde der Tochter des Klägers ab dem 01. Juni 1996 bis zum 30. September 1998 Halbwaisenrente gewährt. Mit Schreiben vom 06. Juli 1998 beantragte der Kläger die Weiterzahlung der Halbwaisenrente der Tochter im Hinblick auf deren fortdauernde Ausbildung, woraufhin die Halbwaisenrente mit Bescheid vom 23. November 1998 zunächst befristet bis zum 31. Juli 2001 weiter gewährt wurde. Mit weiteren Bescheiden vom 26. November 1999 und 24. August 2001 wurde die Halbwaisenrente schließlich bis zum 31. März 2002 weiter gewährt.

Mit Bescheid vom 04. Juni 2002 wurde die Rente des Klägers ab dem 01. Juli 2002 im Hinblick auf den ab dem 01. Juli 2002 maßgebenden aktuellen Rentenwert neu berechnet und ein Bruttorentenanspruch in Höhe von 471,41 EUR ausgewiesen. Auf Seite 2 des Bescheides hieß es unter “Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten„: Die im früheren Rentenbescheid genannten Mitteilungspflichten gelten nach wie vor. Deshalb sind uns Umstände, die den Leistungsanspruch oder die Höhe der Leistung beeinflussen können, umgehend mitzuteilen. Wir behalten uns vor, überzahlte Beträge zurückzufordern.„ In der Anlage 8 wurde das auf die Rente anzurechnende Einkommen ab dem 01. Juli 2002 ermittelt. Auf der Seite 1 unten sowie auf der Seite 2 der Anlage 8 oben hieß es: “Der Freibetrag...

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