Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an den Umfang der beruflichen Tätigkeit eines Unionsbürgers zur Begründung eines Aufenthaltsrechts und damit eines Anspruchs auf Leistungen der Grundsicherung
Orientierungssatz
1. Nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 sind Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen.
2. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG sind unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger, wenn sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind. Voraussetzung ist, dass sie in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben in Deutschland teilnehmen.
3. Je geringer eingegangene wirtschaftliche Risiken sind, desto eher gleicht sich die Selbständigkeit in ihrer Bedeutung für die Teilnahme des Unionsbürgers am Wirtschaftsleben der Arbeitnehmertätigkeit an.
4. Der Umfang einer selbständig betriebenen Tätigkeit darf sich nicht als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Geht dieser nicht über das hobbymäßige Herstellen und Verkaufen von Schmuckstücken und T-Shirts hinaus, so ist er nicht geeignet, um den Status einer niedergelassenen selbständigen Erwerbstätigkeit zu begründen.
5. Arbeiten im Internet, die international eingestellt und gelesen werden können, bewirken keine irgendwie geartete Integration in den deutschen Arbeitmarkt, die ein Freizügigkeitsrecht vermitteln könnte.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 3. Juli 2019 aufgehoben, soweit den Antragstellern mit diesem vorläufig Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 14. Mai 2019 bis zum 30. September 2019 gewährt worden sind.
Kosten des Verfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Den Antragstellern wird auch für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des aus dem Rubrum ersichtlichen Rechtsanwaltes bewilligt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Die 1985 geborene Antragstellerin zu 1) befindet sich seit dem 1. Oktober 2015 in der Bundesrepublik Deutschland und ist die Mutter der 2017 und 2016 geborenen Antragsteller zu 2) und 3). Die Antragsteller besitzen die schwedische Staatsangehörigkeit. Im Juli 2018 beantragten sie die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Der Antragsgegner gewährte den Antragstellern mit Bescheid vom 24. Juli 2018 sowie Bescheid vom 14. Dezember 2018 Leistungen für die Zeit von Juli 2018 bis 09. Januar 2019 wegen einer zuvor von der Antragstellerin zu 1) vom 20. Februar 2018 bis zum 9. Juli 2018 ausgeübten nichtselbstständigen Beschäftigung. Die Antragsteller zu 2) und 3) erhalten Kindergeld i.H.v. jeweils 194,00 €. Der Kindesvater zahlt Unterhalt i.H.v. 90,00 € pro Kind. Am 7. März 2019 hat die Antragstellerin zu 1) unter ihrer Wohnanschrift ein Gewerbe „Modedesign, Herstellung und Handel von Modeschmuck“ zum 1. Februar 2019 angemeldet. In einer vorläufigen EKS vom 29. April 2019 gab die Antragstellerin zu 1) an, sie erwarte im April Einnahmen aus Gewerbebetrieb i.H.v. 90,00 € und in den Monaten Mai bis September 2019 in Höhe von jeweils 200,00 €.
Den Weiterbewilligungsantrag der Antragsteller vom 13. April 2019 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 8. Mai 2019 ab und führte zur Begründung unter anderem aus, die Antragsteller könnten sich lediglich auf ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitssuche berufen und seien daher von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Soweit die Antragstellerin zu 1) eine selbstständige Tätigkeit zum 1. Februar 2019 aufgenommen habe, gehe sie selbst von einem durchschnittlichen monatlichen Gewinn in Höhe von lediglich 166,67 € aus. In Anbetracht der geringen Einnahmen sei davon auszugehen, dass die selbständige Tätigkeit unter 8 Stunden pro Woche ausgeübt werde. In diesem Fall sei nicht von einer tatsächlichen, auf Gewinnerzielung angelegten Ausübung der selbstständigen Tätigkeit auszugehen. Gegen diesen Bescheid legten die Antragsteller fristgemäß Widerspruch ein, den der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2019 zurückwies.
Am 14. Mai 2019 beantragten die Antragsteller beim Sozialgericht Berlin die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes und gaben unter anderem an, sie (die Antragstellerin zu 1) betreibe seit dem 1. Februar 2019 ein Gewerbe und sei selbstständig tätig. Sie betreibe ein Gewerbe Design für Schmuck und für das Erstellen von Musikvideos. Von Februar bis April 2019 sei sie mit der Kundengewinnung, Werbung, dem Erstellen der Webseite und dem Herstellen von Visitenkarten beschäftigt gewesen. Der Versuch mit einem Schmuckstand auf einer Messe präsent zu sein, sei an fehlenden finanziellen Mitteln gescheitert. Im Mai 2019 habe sie 2 Aufträge von Musikern gehabt. Sie habe Musikvideos erstellt. Bisher habe sie 100,00 € eingenommen. Die Tätigkeit sei langfristig angelegt...