Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. schwerbehinderter Mensch. Arbeitsassistenz zur Erlangung eines Arbeitsplatzes. Abgrenzung zur Erhaltung eines Arbeitsplatzes. Beginn bzw Ablauf der Höchstdauer von 3 Jahren. sozialgerichtliches Verfahren. Fortsetzungsfeststellungsklage. Prüfungsumfang
Leitsatz (amtlich)
1. Leistungen der Arbeitsassistenz zur Erlangung eines Arbeitsplatzes setzen nicht voraus, dass der behinderte Mensch bereits einen Arbeitsplatz innehat.
2. Die Anspruchshöchstdauer von drei Jahren gemäß § 49 Abs 8 S 2 SGB IX (juris: SGB 9 2018) läuft nicht kalendarisch ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Inanspruchnahme der Leistung ab, sondern setzt voraus, dass Leistungen für die Dauer von drei Jahren zumindest bewilligt wurden.
3. Zur Prüfungsumfang bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage, wenn sich eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erledigt hat.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 7. März 2018 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 2014 rechtswidrig ist.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das gesamte Verfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Bescheides, mit dem die beklagte Bundesagentur für Arbeit ihr Leistungen der Arbeitsassistenz verwehrt hat.
Die 1971 geborene blinde Klägerin, Mutter dreier Kinder (* September 2007, Dezember 2009 und Februar 2011), ist ausgebildete Diplom-Sozialarbeiterin/-Sozialpädagogin. Ihr wurden ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen G, H, B, Bl und RF unbefristet zuerkannt.
Die Klägerin erhielt nach eigenen Angaben während einer Beschäftigung bei der Gesamtschule in B für die Zeit von Juli 2005 bis 31. Dezember 2007 durch die Beklagte (Agentur für Arbeit Berlin-Nord) als Reha-Trägerin Zuschüsse für eine Arbeitsassistenz, die sie wegen des im August 2007 beginnenden Mutterschutzes nicht vollständig habe in Anspruch nehmen können.
Mit Bescheid vom 13. März 2009 bewilligte das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales - Integrationsamt - (LaGeSo) der damals noch in Berlin lebenden Klägerin für die Zeit vom 1. März 2009 bis zum 28. Februar 2010 aus Mitteln der Ausgleichsabgabe gemäß § 102 Abs. 4, § 33 Abs. 8 S. 1 Nr. 3 und Satz 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) einen Zuschuss bis zur Höhe von 240 € (durch Bescheid vom 21. April 2009 erhöht auf 500 €) als monatliches Budget für die Kosten einer Arbeitsassistenz. Der für die Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz bis zu drei Jahren gemäß § 33 Abs. 8 S. 1 Nr. 3 SGB IX zuständige Rehabilitationsträger - so das LaGeSo weiter - habe es mit der Durchführung des Verfahrens beauftragt und die Kostenübernahme bestätigt. Nach Ablauf von drei Jahren gehe die Zuständigkeit auf das Integrationsamt über. Dem Zuschuss liege ein anerkannter Assistenzbedarf von 10 Stunden wöchentlich zugrunde. Kosten für Assistenzleistungen könnten nur übernommen werden für die Unterstützung bei der Bewerbungsrecherche, das Erstellen von Bewerbungsunterlagen und die Wegbegleitung zu Vorstellungsgesprächen.
Nachdem die Assistenzkraft der Klägerin ihre Tätigkeit zu Ende August 2009 beendet hatte, stellte das LaGeSo die Zahlungen an die Klägerin, die mit einem entsprechenden Ruhen einverstanden war, zum September 2009 ein.
Am 23. Juni 2014 beantragte die seit dem 25. März 2014 als arbeitssuchend gemeldete Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme „für eine Arbeitsassistenz nach § 33 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX in Form eines persönlichen Budgets“. Die Beklagte leitete diesen Antrag unter dem 14. Juli 2014 an das Landesamt für Soziales und Versorgung - Integrationsamt - des zu 1 beigeladenen Landes (im folgenden: Beigeladener zu 1) weiter. Dieser sandte den Antrag umgehend mit dem Hinweis zurück, das Integrationsamt sei kein Reha-Träger im Sinne von § 6 SGB IX, sondern nur für die Ausführung der Arbeitsassistenz zuständig (Schreiben vom 17. Juli 2014). Mit Bescheid vom 22. Oktober 2014, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2014, lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil kein konkreter Arbeitsplatz vorliege.
Die Klägerin blieb mit ihrem Begehren im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ohne Erfolg (Beschluss des Sozialgerichts vom 9. März 2015, Beschluss des Senats vom 2. Juni 2015). Die Beklagte wies in diesem Verfahren darauf hin, dass sich ihre Rechtsauffassung nach 2009 entsprechend den „Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) für die Erbringung finanzieller Leistungen zur Arbeitsassistenz schwerbehinderter Menschen gemäß § 102 Abs. 4 SGB IX“ (im Folgenden: Empfehlungen) vom 22. November 2012 geändert habe. Der Senat ging in seinem Beschluss vom 2. Juli 2015 davon aus, dass die Voraussetzungen für eine Arbeitsa...