Entscheidungsstichwort (Thema)
Rehabilitation und Teilhabe. Zuständigkeitsklärung. Zuständigkeit des erstangegangenen Rehabilitationsträgers bei Nichtweiterleitung des Teilhabeantrags. Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Versorgung mit anderen Hilfsmitteln. behindertengerechter Umbau eines Kfz. Angewiesensein auf das Kfz. Umbau im Interesse mehrerer behinderter Menschen. Auslage der Kosten durch Pflegeeltern. Verweisung auf öffentliche Verkehrsmittel
Leitsatz (amtlich)
1. Als erstangegangen gilt derjenige Rehabilitationsträger, der von dem Versicherten bzw Leistungsbezieher erstmals mit dem zu beurteilenden Antrag auf Bewilligung einer Leistung zur Teilhabe befasst worden ist.
2. Ob jemand auf ein Kraftfahrzeug "angewiesen" ist, beurteilt sich nach der Rechtsprechung des BSG in erster Linie nach dem Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe, eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört es insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern.
3. Werden behindertengerechte Umbauten an einem Fahrzeug für mehrere, hier zwei Personen vorgenommen, so steht einem Kläger der gesamte Anspruch auf Kostenerstattung zu, wenn der Umbau für den anderen behinderten Menschen auch im Interesse des Klägers liegt und seiner Eingliederung in die Gesellschaft dient.
Normenkette
EinglHiVO § 9 Abs. 2 Nr. 11, § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2; SGB XII § 53 Abs. 3, § 54 Abs. 1 S. 1, § 55 Abs. 2 Nr. 1, § 9 Abs. 2, § 19 Abs. 3 S. 1; SGB IX § 14 Abs. 1-2
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Februar 2012 geändert und der Bescheid des Beklagten vom 7. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2011 aufgehoben.
Der Beigeladene zu 1) wird verurteilt, der Klägerin die Kosten für den rollstuhlgerechten Umbau des Kraftfahrzeuges Ford Transit in Höhe von 16.965,95 Euro zu erstatten. Der Beigeladene zu 1) hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits in vollem Umfang zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten für den behindertengerechten Umbau eines Kfz.
Die 1989 geborene, also jetzt 26 Jahre alte und im Jahr 2011 22 Jahre alte Klägerin leidet seit ihrer Geburt an einer geistigen und körperlichen Behinderung (Cerebralparese, die aktuell führenden Diagnosen sind eine Tetra-Spastik bei infantiler Cerebralparese, eine nicht anfallsfreie Epilepsie, schwerste Sprachstörungen und eine geistige Behinderung). Für sie sind vom Versorgungsamt Berlin ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 und die Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung), H (Hilflos), RF (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht), T (Telebusberechtigung) und B (Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson) festgestellt. Sie steht unter Betreuung von Frau C H für die Aufgabenkreise Sorge für die Gesundheit, Bestimmung des Aufenthalts, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden und Einrichtungen und Postangelegenheiten im Zusammenhang mit dem Aufgabenkreis der Betreuung. Ihr Prozessbevollmächtigter ist Ersatzbetreuer. Die Klägerin lebte, seitdem sie zwei Jahre alt war, in der Familie der Betreuerin und des Bevollmächtigten in der Fstraße in BB als Pflegekind. Nach ihrer Volljährigkeit blieb sie in Form der Familienpflege weiterhin in dieser Familie. In dieser lebten zum damaligen Zeitpunkt weitere fünf Pflegekinder, die ebenfalls alle an einer Behinderung leiden. Die Kinder sind in unterschiedlichem Alter und leiden u.a. an einer Trisomie 21, einer schweren Alkoholembryofetopathie mit multiplen Behinderungen, an einer seelischen Behinderung als Folge von Verwahrlosung mit schwerster intellektueller und sozialer Retardation und an einer Cerebralparese. Laut Feststellung der Techniker Krankenkasse (TK) - Pflegeversicherung - liegt für die Klägerin die Pflegestufe III vor. Nach dem Bescheid des Bezirksamts Pankow von Berlin vom 23. Juli 2009 hat die Klägerin dem Grunde nach Anspruch auf Eingliederungshilfe für Behinderte nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs/ Zwölftes Buch (SGB XII). Mit Bescheid vom 23. Juli 2009 wurden ihr 14 Stunden Einzelfallhilfe wöchentlich bewilligt. Die Klägerin besuchte und besucht eine Behindertenwerkstatt, und zwar die n ( ) in der L in Berlin im Bezirk Pankow. Die Fahrten von der Wohnung zu der Werkstatt und zurück wurden vom Beklagten getragen. Sie bezog und bezieht von dem Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GruSi). Über Vermögen verfügte und verfügt die Klägerin nicht.
Inzwischen lebt die Klägerin in einer Einrichtung der S in der Ostraße in Berlin. Sie besucht ihre ehemalige Pflegefamilie regelmäßig einmal in der Woche und wird dabei mit dem Wagen abgeholt und wieder zurückgebracht. Außerdem fährt sie zweimal im Jahr mit der Fam...