Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Arzneimittel. Anforderungen an eine Festbetragsfestsetzung. Vergleichsgröße. Verzerrung. Risperidon. Paliperidon
Leitsatz (amtlich)
Führt eine Korrektur der Vergleichsgrößenermittlung nach § 35 Abs 1 S 5 SGB V zu einer Verdoppelung der Vergleichsgröße eines Wirkstoffes, ist im Verhältnis zum anderen Wirkstoff der Festbetragsgruppe von einer erheblichen Verzerrung auszugehen.
Tenor
Die in den Beschlüssen des Beklagten vom 26. August 2009 und vom 9. Mai 2012 enthaltenen Festbetragsfestzungen für den Wirkstoff Paliperidon werden aufgehoben.
Der Beklagte und der Beigeladene haben ihre Kosten selbst und die übrigen Kosten des Rechtsstreits je zur Hälfte zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Aufhebung der Festbetragsfestsetzungen des beklagten Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen für “Antipsychotika, andere, Gruppe 1„ vom 26. August 2009 sowie vom 9. Mai 2012 soweit darin jeweils Festbeträge für den Wirkstoff Paliperidon bzw. das Arzneimittel Invega® festgesetzt werden.
Die Festbetragsgruppe der “Antipsychotika, andere, Gruppe 1„ besteht aus den Wirkstoffen Risperidon und Paliperidon. Es handelt sich nach der Festsetzung um eine Festbetragsgruppe der Stufe II nach § 35 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V; “pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkung, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen„). Beide Wirkstoffe haben als gemeinsames Indikationsgebiet das der Behandlung der Schizophrenie.
Die Klägerin vertreibt unter dem Namen Invega® Arzneimittel mit dem Wirkstoff Paliperidon.
Der Beigeladene beschloss (als Plenum nach § 91 SGB V) am 18. Juni 2009 u. a. die Neubildung der Festbetragsgruppe der Stufe II “Antipsychotika, andere, Gruppe 1„ und setzte als Vergleichsgrößen für den Wirkstoff Paliperidon 5,5 und für den Wirkstoff Risperidon 1,4 fest (BAnz Nr. 119 vom 13. August 2009, S 2786). Die Gruppenbeschreibung lautet: “orale Darreichungsformen„. Darreichungsformen sind Filmtablette, Retardtablette, Lösung zum Einnehmen.
Der Beklagte beschloss daraufhin am 26. August 2009 (u. a.) für die Wirkstoffe der Festbetragsgruppe “Antipsychotika, andere, Gruppe 1„ ausgehend von einer Wirkstärkenvergleichsgröße (wvg = Wirkstärke/Vergleichsgröße) von 1,4 und einer Packungsgröße (pk) von 100 Stück einen Festbetrag von 50,43 €. Die Regressionsgleichung wurde auf p = 0,006082989 x wvg0,978847 x pk1,0386423 festgesetzt. Die Festbeträge sollten vom 01. November 2009 an gelten. Der Beschluss wurde im Bundesanzeiger vom 3. September 2009, S. 3074 bekannt gegeben.
Die Klägerin hat hiergegen am 5. Oktober 2009 Klage vor dem hiesigen Landessozialgericht erhoben.
Mit Beschluss vom 14. April 2011, veröffentlicht im Bundesanzeiger S. 2053, hat der Beigeladene die Festbetragsgruppe “Antipsychotika„, andere, Gruppe 1„ aktualisiert, um eine neue Verabreichungsform einzubeziehen.
Der Beigeladene hat weiter mit Beschluss vom 15. Dezember 2011 (Bundesanzeiger 2012, S. 469) unter anderem für die hier streitgegenständliche Festbetragsgruppe die Vergleichsgrößen aktualisiert und nunmehr auf 5,6 für Paliperidon und 1,3 für Risperidon festgesetzt.
Mit Beschluss vom 9. Mai 2012, veröffentlicht im Bundesanzeiger am 16. Mai 2012, hat auch der Beklagte die Festbetragsfestsetzung mit Wirkung zum 1. Juli 2012 aktualisiert.
Der hiesige Senat hat mit Urteil vom 22. Juni 2012 (L 1 KR 296/09 KL) die Festbetragsfestsetzungen für den Wirkstoff Paliperidon aufgehoben.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat dieses Urteil seinerseits mit Urteil vom 17. September 2013 aufgehoben und den Rechtsstreit zurückverwiesen (B 1 KR 54/12 R). Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, die Sachurteilsvoraussetzungen seien erfüllt. Die Klägerin könne nicht beanspruchen, dass die Festbetragsfestsetzungen des Beklagten vom 26. August 2009 und vom 9. Mai 2012 schon wegen eines Fehlers bei der Gruppenbildung aufgehoben würden.
Es sei jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Entscheidungen des Beigeladenen vom 18. Juni 2009 und vom 15. Dezember 2011 über die Bildung der Vergleichsgrößen und die darauf beruhenden Festbetragsfestsetzungen gegen das Willkürverbot des Art 3 Abs. 1 GG verstießen. Der dem Beigeladenen durch das Gesetz vorgegebene Gestaltungsspielraum ende jedenfalls dort, wo die gleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar sei, weil ein einleuchtender Grund für die unterbliebene Differenzierung fehle.
Mit Beschluss vom 10. Februar 2015 hat der Beigeladene die Einleitung eines Stellungnahmeverfahrens zur Aktualisierung der Vergleichsgrößen zur Umsetzung des Urteils des BSG vom 17. September 2013 beschlossen. Es sei beabsichtigt, die Vergleichsgröße für den Wirkstoff Risperidon zu modifizieren, um etwaigen Verzerrungspotentialen vorzuwirken. Den Besonderheiten solle dadurch Rechnung getragen werden, dass bei der Bestimmung der Vergleichsgröße für den Wirkstoff Risperidon die auf die...