Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung. repräsentative Einzelfallprüfung mit Hochrechnung. Anzahl der Behandlungsfälle. Anforderung von Behandlungsunterlagen
Leitsatz (amtlich)
Bei der repräsentativen Einzelfallprüfung mit Hochrechnung müssen die Prüfgremien mindestens 20 % der Behandlungsfälle im Quartal prüfen, die Mindestzahl muss 100 betragen. Die zu prüfenden Einzelfälle sind nach generellen Kriterien zu ermitteln (BSG vom 8.4.1992 - 6 RKa 27/90 = BSGE 70, 246 = SozR 3-2500 § 106 Nr 10; vom 27.6.2007 - B 6 KA 44/06 R = SozR 4-2500 § 106 Nr 17). Diesen Anforderungen werden die Prüfgremien gerecht, wenn sie entsprechend dieser Vorgabe Behandlungsunterlagen anfordern, der Vertragsarzt die Behandlungsunterlagen aber teilweise nicht vorlegen kann. Die Prüfgremien sind dann nicht gehalten, weitere Behandlungsunterlagen von dem Vertragsarzt anzufordern, da dadurch die Auswahl nicht mehr nach abstrakt-generellen Kriterien erfolgt.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juni 2011 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Honorarkürzungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise in den Quartalen II/1998 bis II/1999.
Der Kläger ist seit dem 1. Mai 1997 als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe niedergelassen. Er betreibt eine auf künstliche Befruchtungen spezialisierte Praxis, die in dem streitbefangenen Zeitraum als Gemeinschaftspraxis bestehend aus ihm und dem Beigeladenen zu 7), der ebenfalls Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe ist, betrieben wurde. Beide Ärzte waren im Besitz der Genehmigung, die zur Durchführung von Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nach § 121a Abs. 2 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) berechtigt. Der Prüfungsausschuss prüfte auf Antrag der Krankenkassen in den Quartalen II/1998 bis II/1999 die Honorarabrechnungen der damaligen Gemeinschaftspraxis hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit und nahm mit Bescheiden vom 18. November 1998, 1. März 1999, 20. Mai 1999, 20. Juli 1999 und 8. November 1999 Honorarkürzungen vor. Kürzungen erfolgten bei den nicht budgetrelevanten OIII-Leistungen sowie der Ziffer 4955 EGM-Ä (Zytologische Untersuchung eines Materials unter Anwendung eines zytochemischen Sonderverfahrens, zum Beispiel Eisen-, PAS-Reaktion oder optischer Sonderverfahren-Interferenz oder Polarisationsmikroskopie). Mit den hiergegen eingelegten Widersprüchen wurde unter anderem geltend gemacht, dass die Praxis des Klägers ausschließlich reproduktionsmedizinisch tätig sei und nicht mit anderen Praxen, die ebenfalls Leistungen der Reproduktionsmedizin erbrachten, verglichen werden könne. Der Beklagte beschloss am 16. März 2000 folgende Maßnahmen:
|
II/1998 |
Kürzung 30 % |
Labor OIII wird auf 23 % reduziert |
III/1998 |
Kürzung 30 % |
Labor OIII wird bestätigt |
IV/1998 |
Kürzung 60 % |
GO-Nr. 4955 wird auf 25 % reduziert |
|
Kürzung 50 % |
Labor OIII wird bestätigt |
I/1999 |
Kürzung 30 % |
GO-Nr. 4955 wird aufgehoben |
|
Kürzung 60 % |
Labor OIII wird bestätigt |
II/1999 |
Kürzung 60 % |
GO-Nr. 4955 wird aufgehoben |
|
Kürzung 60 % |
Labor OIII wird auf 55 % reduziert |
In dem anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht B (Az.: S 79 KA 230/00*71) hob das Sozialgericht die Entscheidung mit Urteil vom 25. Juni 2003 auf und verpflichtete den Beklagten zur Neubescheidung. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen damit begründet, dass die von dem Beklagten gewählte Vergleichsgruppe zu ungenau bestimmt sei. Der Beklagte habe nicht ermittelt, ob die als Vergleichsgruppe herangezogenen Gynäkologen - ebenso wie die Praxis des Klägers - ausschließlich in der Reproduktionsmedizin tätig seien.
Der Beklagte akzeptierte diese Entscheidung. Nachdem er mit Schreiben vom 30. November 2004 die Honoraranforderungen zwecks Überprüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Beigeladenen zu 1) vorgelegt und das Verfahren insoweit ausgesetzt hatte, beschloss er nach Eingang der Antwort der Beigeladenen zu 1) am 30. Mai 2005 die Durchführung einer eingeschränkten Einzelfallprüfung mit Hochrechnung (Beschluss vom 16. März 2006). Hierzu forderte er von dem Kläger die Behandlungsunterlagen von insgesamt 830 Behandlungsfällen an (Schreiben vom 11. April 2006). Mit Schreiben vom 12. Juli 2006 erklärte sich der Kläger mit einer gestaffelten Vorlage der Behandlungsunterlagen einverstanden. Die Übersendung von 50 Akten pro Woche neben dem regulären Praxisbetrieb sei aber schlichtweg nicht möglich. Ihm sei lediglich die Übersendung von 30 Patientenakten pro Woche möglich. In der Zeit vom 24. Juli 2006 bis zum 11. Dezember 2007 legte der Kläger insgesamt 570 Behandlungsakten vor. Diese ließ der Beklagte durch sachverständige Ärzte überprüfen. Mit Schreiben vom 4. April 2008 teilte der Kläger mit, er habe feststelle...