Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Auszahlung von Geldleistungen. Übermittlung an den Wohnsitz des Empfängers. Wohnsitzbegriff. Übermittlung in die Wohnung nur in Ausnahmefällen
Orientierungssatz
1. Der Begriff "Wohnsitz" im Sinne des § 47 Abs 1 SGB 1 ist dahingehend zu verstehen, dass damit nicht die Wohnung, sondern die kleinste politische Einheit gemeint ist.
2. Da § 47 Abs 1 SGB 1 eine Sollvorschrift ist, kommt in atypischen Fällen unter Berücksichtigung des § 33 S 2 SGB 1 ausnahmsweise ein Anspruch auf Barauszahlung der Leistungen in der Wohnung in Betracht (vgl LSG Mainz vom 19.3.2015 - L 5 SO 229/14 = juris RdNr 14).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 9. August 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zahlung seiner Sozialhilfeleistungen (Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - GruSi -) per Verrechnungsscheck, Zahlungsanweisung zur Verrechnung oder Postanweisung direkt an seine Wohnung.
Der 1937 geborene, also jetzt 82 Jahre alte Kläger wohnt in der Hstr., B, Nähe U-Bahnhof B. Er bezieht von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Berlin-Brandenburg eine Altersrente. Weiter bezieht er seit Jahren ergänzend GruSi. Seit dem Jahr 2009 war für ihn ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 und ab dem 28. Januar 2016 ist ein GdB von 60 sowie das Merkzeichen „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) festgestellt.
Mit Eingang bei dem Beklagten am 31. Januar 2013 stellte der Kläger einen Antrag auf Übersendung seiner Sozialleistungen per Scheck. Er sei mal wieder gefallen und nicht gut zu Fuß. Hierauf antwortete der Beklagte mit Schreiben vom 6. Februar 2013, eine Scheckzahlung sei aus Kostengründen nicht möglich. Diese koste für die ersten 50 Euro 6,50 Euro und für weitere angefangene 50 Euro jeweils 0,65 Euro. Nachdem der Kläger auf die Regelung des § 47 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hingewiesen hatte, die ihm ein Wahlrecht gebe, teilte ihm der Beklagte mit Schreiben vom 18. Februar 2013 erneut mit, dass dies nicht in Betracht komme. Mit Wohnsitz im Sinne der genannten Vorschrift sei nur der Wohnort, nicht die Wohnung gemeint. Mit Schreiben vom 26. Februar 2013 begehrte der Kläger die Zahlung der GruSi an seine Wohnadresse, und zwar per Postanweisung. Hierauf antwortete der Beklagte mit Schreiben vom 1. März 2013, die Zahlung der GruSi per Postanweisung sei nicht möglich. Der Bezirk habe sich schon vor ein paar Jahren entschieden, keine Postbarauszahlungen mehr anzubieten. Die buchungstechnischen Möglichkeiten seien auch nicht mehr gegeben. Der Kläger solle prüfen, ob er nicht doch ein Konto einrichten wolle.
Am 6. März 2013 teilte der Kläger mit, dass er die Zahlung per Scheck begehre. Die Kosten übernehme er „natürlich“. Seine Rente werde ihm auch auf diese Weise überwiesen.
Mit Bescheid vom 8. März 2013 lehnte der Beklagte die Auszahlung der GruSi per Postanweisung ab. Die Behörde werde der Vorschrift des § 47 SGB I gerecht, wenn sie anbiete, entweder Geld auf ein Konto zu überweisen oder eine Barauszahlung in den Räumen der Behörde vorzunehmen. Nach gängiger Rechtsprechung bestünde kein Anspruch auf Überbringung der Leistung in die Wohnung des Empfängers.
Zur Begründung seines am 26. März 2013 bei dem Beklagten eingegangenen Widerspruches trug der Kläger vor, er könne kein Pfändungsschutzkonto in Anspruch nehmen, die Kosten hierfür seien auch im Regelsatz nicht enthalten.
Es findet sich in den Akten des Beklagten der Bericht einer Mitarbeiterin des Sozialdienstes des Beklagten vom 9. April 2013. Sie habe im März und April 2013 dreimal versucht, den Kläger in seiner Wohnung aufzusuchen. Dies sei jedoch nicht geglückt. Nachbarn hätten mitgeteilt, dass der Kläger häufig unterwegs sei, ohne Hilfsmittel gehe und sich mit Einkäufen versorge. Der Kläger wohne im 3. Obergeschoss ohne Fahrstuhl.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger habe einen Antrag auf (kostenfreie) Auszahlung der GruSi per Postanweisung oder persönlich an seine Wohnung gestellt. Gemäß § 47 SGB I könne eine Übermittlung an die Wohnung nicht verlangt werden. Der Sozialhilfeträger werde seiner Bringschuld gerecht, wenn der Empfänger das Geld im Rathaus abholen könne. Es bestünde kein Anspruch auf Auszahlung der Leistungen per Postanweisung oder persönlich per Scheck. Der Kläger sei lediglich behindert mit einem GdB von 30 ohne die Merkzeichen G oder aG [außergewöhnliche Gehbehinderung], eine Gehbehinderung liege aber nicht vor. Der Kläger könne sich ein Konto einrichten lassen.
Mit der am 15. November 2013 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage hat der Kläger sein Begehren, die Zahlung der GruSi per Scheck oder durch Zahlung...