Entscheidungsstichwort (Thema)
Beurteilung der Versicherungspflicht in der deutschen Sozialversicherung unter Berücksichtigung des deutsch-polnischen Entsendeabkommens
Orientierungssatz
1. Nach § 3 SGB 4 gelten die Vorschriften über die Versicherungspflicht für alle Personen, die im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs beschäftigt oder selbständig tätig sind.
2. Nach Art. 4 des deutsch-polnischen Entsendeabkommens (DPEA) unterstehen als Ausnahme des Territorialitätsprinzips entsandte Arbeitnehmer für die Dauer von 24 Monaten, beginnend mit der Ankunft im Gebiet des Beschäftigungsstaates den Rechtsvorschriften des Entsendestaates, als wären sie in diesem Gebiet beschäftigt.
3. Das Vorliegen einer Entsendung i. S. von Art. 4 DPEA ist nicht bereits aufgrund der zunächst erteilten Entsendebescheinigung D/PL 101 anzunehmen.
4. Die schriftliche Mitteilung des polnischen Sozialversicherungsträgers (ZUS) ist ausreichend, um gegenüber dem deutschen Sozialversicherungsträger und den Sozialgerichten die Bindungswirkung der erteilten Entsendebescheinigung D/PL 101 entfallen zu lassen.
5. Eine Einstrahlung gemäß § 5 SGB 4 setzt eine fortbestehende Auslandsintegration bei vorübergehender Inlandsbeschäftigung voraus. Hierzu reicht allein der Abschluss des Arbeitsvertrags mit einem polnischen Unternehmen nicht aus. Der Schwerpunkt des tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisses muss im Entsendestaat liegen und es muss sichergestellt sein, dass die Beschäftigung im Entsendestaat fortgeführt wird.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. April 2015 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten des Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagen sowie die Feststellung der Versicherungspflicht zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 7) sowie der Beigeladenen zu 10) bis 13) bei der Klägerin in der Zeit von Juni bis Dezember 2001.
Die Klägerin ist eine seit Dezember 2000 in W/Polen eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach polnischem Recht (Spólka z organiczona odpowiedzialnoscia – sp. z o.o.), deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer Herr ZChist. Im März 2001 gründete er eine in B ansässige Zweigniederlassung der Klägerin, deren Geschäftsgegenstand Maurer- und Putzerarbeiten war. Die Zweigniederlassung wurde im Handelsregister des Amtgerichtes Berlin Charlottenburg am 16. Juli 2001 registriert und nach Aufhebung der Zweigniederlassung am 13. September 2006 gelöscht.
Der Beigeladene zu 7) sowie die Beigeladenen zu 10) bis 13) waren für die Klägerin ab Mai 2001 auf verschiedenen Baustellen in der Bundesrepublik Deutschland tätig. Dabei wurde zunächst jeweils ein auf den Monat Mai 2001 befristeter Arbeitsvertrag zwischen den Beigeladenen zu 7) sowie 10) bis 13) und der Zweigniederlassung der Klägerin in B geschlossen. Anschließend wurden befristete polnische Arbeitsverträge für die Zeit vom 4. Juni 2001 bis zum 30. November 2001 zwischen der Klägerin und den Beigeladenen zu 7) sowie 10) bis 13) sowie vom 1. Dezember 2001 bis zum 20. Dezember 2001 zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 7) sowie den Beigeladenen zu 10), 11) und 13) abgeschlossen. Für die Tätigkeiten in der Zeit vom 4. Juni 2001 bis zum 30. November 2001 stellte die zuständige polnische Behörde (Zakład Ubezpieczeń Społecznych – ZUS) für jeden Arbeiter am 4. Juli 2001 eine Entsendebescheinigung D/PL 101 aus, nach welchem der jeweilige Inhaber für die Zeit seiner Entsendung in die Bundesrepublik Deutschland gemäß dem deutsch-polnischem Abkommen über Sozialversicherung von Arbeitnehmern, die in das Gebiet des anderen Staates vorübergehend entsandt werden, den Rechtsvorschriften der Republik Polen über Sozialversicherung unterliegt und die Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland über die Sozialversicherung keine Anwendung finden. Eine zweite Entsendebescheinigung wurde von der ZUS am 13. Dezember 2001 für den Beigeladenen zu 7) sowie die Beigeladenen zu 10), 11) und 13) für die Zeit vom 1. Dezember 2001 bis 20. Dezember 2001 ausgestellt. Als Arbeitsstelle in Deutschland war jeweils die Zweigniederlassung der Klägerin in B angegeben.
Im Rahmen eines durch die Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes O eingeleiteten Ermittlungsverfahrens gab der Geschäftsführer der Klägerin am 21. März 2002 an, dass die Klägerin erstmals im Mai 2001 in Polen sowie in Deutschland tätig geworden sei. Im Mai 2001 seien in Polen drei Arbeitnehmer und in Deutschland ca. zehn Arbeitnehmer beschäftigt gewesen. Bei den Arbeitnehmern handele es sich um Deutsche mit festem Wohnsitz in Polen. Die Arbeitnehmer seien in Deutschland von Mai bis November 2001 in R, von Juli bis September 2001 in Bad S und von November bis Dezember 2...