Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld. Erstattungspflicht des Arbeitgebers. Befreiungstatbestand. sozial gerechtfertigte Kündigung. Darlegungs- und Nachweispflicht. prozessualer Beibringungsgrundsatz. dringend betriebliches Erfordernis. Unternehmerentscheidung. betriebsbedingte Kündigung. Wirksamkeit einer tarifvertraglichen Regelung. Einschränkung des Kündigungsschutzes

 

Orientierungssatz

1. Für die Darlegungs- und Nachweispflicht des § 147a Abs 1 S 2 SGB 3 gilt nach der auch auf das SGB 3 zu übertragenden Rechtsprechung des BSG der prozessuale Beibringungsgrundsatz (vgl BSG vom 21.9.2000 - B 11 AL 7/00 R = BSGE 87, 132 = SozR 3-4100 § 128 Nr 10).

2. Zur Frage, wann wegen einer unternehmerischen Entscheidung eine betriebsbedingte Kündigung gerechtfertigt sein kann.

3. Der Befreiungstatbestand einer sozial gerechtfertigten Kündigung gem § 147a Abs 1 S 2 Nr 4 SGB 3 ist auch dann erfüllt, wenn dem Arbeitnehmer aufgrund einer tarifvertraglichen Regelung gekündigt wurde, die den tariflichen Kündigungsschutz bei betriebsbedingten Kündigungen einschränkt, soweit "sozialverträgliche Instrumente" zu den "notwendigen Personalanpassungsmaßnahmen" zur Anwendung kommen - wie zB Vorruhestandsregelungen. Diese tarifvertragliche Regelung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht insbesondere nicht gegen gesetzliches Kündigungsschutzrecht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 04.06.2013; Aktenzeichen B 11 AL 14/11 R)

 

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 28. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2007 wird aufgehoben.

Die Beklagte hat die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über eine Erstattungspflicht der Klägerin nach § 147a des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) in Höhe von insgesamt 10.147,53 € für den Zeitraum vom 6. April 2007 bis zum 30. August 2007.

Die Klägerin ist ein Unternehmen im Bereich der Energieversorgung. Von ihr wird u.a. ein Pumpspeicherwerk (PSW) in M betrieben. In diesem PSW waren ausweislich des Stellenplanentwurfes für das Geschäftsjahr 2004 insgesamt 69 Arbeitnehmer beschäftigt, u.a. als “Handwerker für spezielle IH/Bau„ in Vollzeit der am 1950 geborene Herr TW (im Folgenden: Arbeitnehmer). Dieser Arbeitnehmer war nach dem mit dem VEB P, Sitz H, geschlossenen Arbeitsvertrag vom 17. April 1980 zunächst als Maurer im Produktionsbereich M beschäftigt. Nach Gründung der VVE AG war der Arbeitnehmer dort beschäftigt und zuletzt als Handwerker für spezielle IH- () Aufgaben tätig. Für ihn galt eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Ende des Vierteljahres.

Am 24. Juni 2002 wurde zwischen den Arbeitgeberverbänden sowie Arbeitgebervereinigungen Arbeitgeberverband energie- und versorgungswirtschaftlicher Unternehmen e.V.- AVEU-, Arbeitgebervereinigung energiewirtschaftlicher Unternehmen e.V.- AVE-, Wirtschaftsverband Kohle e.V.- WVK-, den Unternehmen B AG, H HE-WAG, L B AG (, V V E AG und den Industriegewerkschaften Bergbau, Chemie, Energie - IG BCE -, Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft- ver.di- und der Industriegewerkschaft Metall - IGM - ein “Tarifvertrag zur sozialpolitischen Begleitung unternehmerischer Entscheidungen im Rahmen der Bildung/Strukturierung des E VE„ geschlossen.

Dieser Tarifvertrag enthält u.a. folgende Regelungen:

 “§ 1 Präambel

Die vertragschließenden Parteien wollen mit dem nachstehenden Regelungen die notwendigen unternehmerischen Entscheidungen im Rahmen der Bildung/Strukturierung des Energiekonzerns V E sowie der Umstrukturierung in einzelnen Konzernunternehmen bei Wahrung der berechtigten Arbeitnehmerinteressen mit tarifpolitischen Instrumenten sozial verträglich begleiten und den Arbeitnehmern Sicherheit hinsichtlich der Gesamtheit der materiellen Bedingungen ihrer Arbeit, einschließlich betrieblicher Sozialleistungen, geben.

 § 2 Geltungsbereich

Der Tarifvertrag gilt für alle Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Tarifvertrages in einem Arbeitsverhältnis mit einem der genannten Unternehmen stehen und unter den Manteltarifvertrag des jeweiligen Unternehmens fallen. Dieser Tarifvertrag gilt auch für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis ruht.

 § 3 Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen

1. im Rahmen aller Maßnahmen zur Bildung/Strukturierung des Energiekonzerns VE durch die Zusammenführung und/oder Umstrukturierung der Unternehmen B AG, HH AG, L BAG (L) und V V E AG werden betriebsbedingte Kündigungen mit einem Beendigungsdatum vor dem 31. Dezember 2007 ausgeschlossen.

2. …

3. Lehnt ein Arbeitnehmer ein zumutbares Angebot eines anderen oder geänderten Arbeitsplatzes - auch in einem anderen Unternehmen oder Tochterunternehmen -ab, sind abweichend von Nr. 1 betriebsbedingte Kündigungen nicht ausgeschlossen. Die Zumutbarkeit ist durch betrieblich zu vereinbarende Regelungen zu konkretisieren…

4. Die im Rahmen der Strukturierung des Energiekonzerns VE bzw. der Umstrukturierung in den Unternehmen notwendigen Personalanpassungsmaßnahmen werden unter Nutzung bewährter sozi...

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