Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Verteilung der Beweislast im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Versichertem und Krankenkasse einerseits und Leistungserbringer und Krankenkasse andererseits. Arzneimittelverordnung zur Behandlung von Erkrankungen unklarer Genese. Beweislast beim Vertragsarzt. kein Off-label-use von Immunglobulinen bei Multiple Sklerose. Vertrauensschutz gegenüber betroffenem Arzt
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Verteilung der Beweislast sind widersprüchliche Ergebnisse im Hinblick auf das Verhältnis Versicherter - Krankenkasse einerseits und Leistungserbringer - Krankenkasse andererseits auszuschließen. Kann ein Versicherter von seiner Krankenkasse die Versorgung mit einem bestimmten Arzneimittel beanspruchen, bleibt ein Regressanspruch gegen einen Vertragsarzt von vornherein außer Betracht. Besteht im umgekehrten Fall ein Anspruch des Versicherten nicht, ist diese Frage zugleich auch für das Regressverfahren gegen den Vertragsarzt geklärt.
2. Bei der Verordnung von Arzneimitteln zur Behandlung von Erkrankungen unklarer Genese liegt die Beweislast demzufolge beim Vertragsarzt.
Orientierungssatz
1. Die Voraussetzungen für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz (Off-label-use) von Immunglobulinen für die Behandlung der (schubförmig verlaufenden) Multiple Sklerose liegen auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht vor.
2. Vertrauensschutz setzt einen gegenüber dem betroffenen Arzt gesetzten besonderen Vertrauenstatbestand voraus.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen zu 2) wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. September 2008 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1), die diese selbst trägt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um einen Regress wegen der Verordnung des zu den Immunglobulinen zählenden, intravenös (i.v.) zu verabreichenden Arzneimittels Alphaglobin durch den Kläger in den Quartalen I/1999, II/1999 und IV/1999.
Der Kläger nimmt auf dem Gebiet der Nervenheilkunde an der fachärztlichen Versorgung in B(Bezirk) teil. Er verordnete seiner bei der Beigeladenen zu 2) krankenversicherten Patientin G O (im Folgenden: die Versicherte) zur Behandlung einer schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose (MS) das Arzneimittel Alphaglobin
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- im Quartal I/1999 |
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in 2 Fällen |
- im Quartal II/1999 |
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in einem Fall |
- im Quartal IV/1999 |
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in 2 Fällen. |
Dieses Arzneimittel, das aufgrund des Bescheids des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) vom 1. Juni 1999 den Namen “Flebogamma 5 %„ trägt, ist ausweislich der Fachinformation (Stand: August 1998) für folgende Anwendungsgebiete zugelassen:
Immunglobulin G vom Menschen zur intravenösen Anwendung wird zur Substitutionstherapie bei primären und sekundären Antikörpermangelkrankheiten und zur Prophylaxe und Behandlung von Infektionen, die mit diesen Krankheiten einhergehen, angewandt.
Zusätzlich wird Immunglobulin G vom Menschen auch angewandt bei verschiedenen Krankheitsbildern, die durch einen immunologischen Pathomechanismus (z.B. Alloantikörper und/oder Autoantikörper) induziert werden, wie z.B. bei autoimmuner Thrombozytopenie (ITP).
1. Primäre Immunmangelsyndromen :
- kongenitale Agammaglobulinämie und Hypogammaglobulinämie
- variable Immunmangelkrankheiten
- schwere kombinierte Immunmangelkrankheiten
- Wiskott-Aldrich-Syndrom
2. Idiopathische thrombozytopenische Purpura (ITP), besonders akute Formen bei Kindern
3. Sekundäre Immunmangelkrankheiten wie bei folgenden Krankheitsbildern:
- chronische lymphozytäre Leukämie
- AIDS bei Kindern
- allogene Knochenmark- (und andere) transplantationen
Mit am 14. November 2000 eingegangen Schreiben stellte die BKK Berlin - eine Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2) - einen “Antrag auf Feststellung eines sonstigen Schadens gemäß § 14 der Prüfvereinbarung vom 10.01.1994„ wegen der o.g. Verordnungen des Klägers. In der vom Prüfungsausschuss veranlassten Stellungnahme vom 19. Dezember 2000 teilte der Kläger mit, die Verordnung sei erfolgt “wegen des Kinderwunsches der 1971 geborenen Patientin vor und nach der Konzeption und während des Wochenbettes nach der Geburt des Sohnes am 10.11.1999 gemäß der ausdrücklichen Behandlungsempfehlung von Frau Prof. H, Chefärztin der Neurologischen Abteilung des J Krankenhauses Berlin„. Mit Bescheid vom 14. Juni 2001 setzte der Prüfungsausschuss “gemäß § 14 der Prüfvereinbarung [...] eine Schadensersatzverpflichtung für die Verordnung von Alphaglobin in Höhe von insgesamt DM 19.104,16 fest„. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit seiner Entscheidung vom 11. Juni 2002 zurück und führte zur Begründung unter anderem aus: Alphaglobin sei nicht im Rahmen der Zulassungsindikation verordnet worden. Ein zulässiger Off-label-use i.S.d. Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (Urteil vom 19. März 2002) liege aus mehreren Gründen nicht v...