Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Verordnungsfähigkeit nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Aufnahme des homöopathischen Arzneimittels Zeel comp N in die Anl 1 der Arzneimittel-Richtlinie (juris: AMRL) im Anwendungsgebiet „rheumatische Gelenkbeschwerden„. schwerwiegende Erkrankung. Zulässigkeit der Feststellungsklage zur Geltendmachung der Unwirksamkeit untergesetzlicher Rechtsnormen. gerichtliche Überprüfbarkeit
Leitsatz (amtlich)
Zur Bestimmung der Begriffe der schwerwiegenden Erkrankung und des Therapiestandards in § 34 Abs 1 S 2 SGB 5.
Orientierungssatz
1. Bei den Regelungen der AMRL gem §§ 92 Abs 1 S 1, S 2 Nr 6 SGB 5 und ihren Anlagen handelt es sich um verbindliche untergesetzliche Normen (vgl § 91 Abs 6 SGB 5 und BSG vom 20.3.1996 - 6 RKa 62/94 = BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 und vom 3.7.2012 - B 1 KR 23/11 R = BSGE 111, 155 = SozR 4-2500 § 31 Nr 21).
2. Mit der fachgerichtlichen Feststellungsklage kann nicht nur die Unwirksamkeit einer untergesetzlichen Rechtsnorm, sondern auch deren fehlerhafte Auslegung oder Anwendung sowie ein Anspruch auf deren Änderung oder Ergänzung geltend gemacht werden (vgl BSG vom 14.12.2011 - B 6 KA 29/10 R = BSGE 110, 20 = SozR 4-2500 § 92 Nr 13).
3. Beim Anwendungsgebiet “rheumatische Gelenkbeschwerden„ handelt es sich um keine schwerwiegende Erkrankung iS von § 34 Abs 1 S 2 SGB 5. Das homöopathische Arzneimittel Zeel comp N kann insoweit nicht als Therapiestandard gelten.
4. Die in § 34 Abs 1 S 2 SGB 5 für die Aufnahme eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels in die Anlage 1 zur AMRL normierten Tatbestandsvoraussetzungen (Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung, Therapiestandard) sind vom Senat vollständig überprüfbar; der Gesetzgeber belässt dem Gemeinsamen Bundesausschuss bei der Entscheidung über diese Voraussetzungen keinen Gestaltungsspielraum (vgl BSG vom 6.3.2012 - B 1 KR 24/10 R = BSGE 110, 183 = SozR 4-2500 § 34 Nr 9).
5. Die in § 12 Abs 3 AMRL und in § 33 Abs 1 S 1 des 4. Kapitels der Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses vorgenommene Beschreibung einer Erkrankung als “schwerwiegend„, “wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt„, ist sachgerecht.
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Aufnahme zweier Arzneimittel in die Anlage I (sog. OTC-Übersicht) der vom Beklagten erlassenen Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL).
Durch das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) wurden mit Wirkung zum 1. Januar 2004 nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V). Dem beklagten Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) wurde durch Satz 2 dieser Vorschrift aufgegeben, in den AM-RL festzulegen, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können. Dabei hat er der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen (§ 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V).
Die Klägerin ist eine pharmazeutische Unternehmerin, die unter anderem folgende zwei homöopathische Arzneimittel in den Verkehr bringt:
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Name des Arzneimittels |
letzter arzneimittel- rechtlicher Bescheid |
arzneilich wirksame Bestandteile |
Zeel comp. N Tablette |
16. August 2001 |
Toxicodendron quercifolium Dil. D2 1,0 mg Solanum dulcamara Dil. D2 0,3 mg Sulfur Dil. D6 0,75 mg Arnica montana Dil. D2 0,5 mg Sanguinaria canadensis Dil. D4 0,45 mg |
Zeel comp. N Flüssige Verdünnung zur Injektion |
19. Oktober 2009 |
Rhus toxicodendron Dil. D4 10 mg Arnica montana Dil. D4 2 mg Solanum dulcamara Dil. D4 1 mg Sanguinaria canadensis Dil. D4 1 mg Sulfur Dil. D10 3 mg |
Nach den oben genannten Verlängerungsbescheiden leiten sich die Anwendungsgebiete “von den homöopathischen Arzneimittelbildern ab. Dazu gehören: Rheumatische Gelenkbeschwerden.„
Nach dem der Beklagte der Klägerin gegenüber zunächst die Auffassung vertreten hatte, er müsse nicht begründen, warum ein bestimmtes Arzneimittel in der OTC-Übersicht nicht berücksichtigt werde, erhob die Klägerin im September 2004 Klage vor dem Sozialgericht Köln mit dem Ziel, die fixen Kombinationen der in den o.g. Arzneimitteln enthaltenen Wirkstoffe mit der Indikation rheumatische Gelenkbeschwerden in die OTC-Übersicht aufnehmen zu lassen. Das Sozialgericht Köln verwies den Rechtsstreit an das Sozialgericht Berlin (Az.: S 79 KA 90/05). Infolge eines Urteils der Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 26. Oktober 2006 (Az.: C-317/05 - “P-B„ -) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 20. März 2007 den Antrag auf Änderung der OTC-Übersicht ab. Das So...