Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Pflegeversicherung. Entzug von Pflegeleistungen wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse. Beweislast
Orientierungssatz
Bei der Entziehung von Leistungen aus der Pflegeversicherung wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist entscheidungserheblich auf einen Vergleich der Verhältnisse bei Bewilligung der Pflegeleistungen mit denen, die bei Entzug der Pflegeleistungen vorgelegen haben, abzustellen.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 08. Dezember 2008 und die Bescheide der Beklagten vom 29. August 2006 und 25. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2007 aufgehoben.
Die Beklagte hat der Klägerin deren notwendigen außergerichtlichen Kosten für das gesamte Verfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung von Leistungen aus der Pflegeversicherung zum 1. Oktober 2006.
Die 1990 geborene und bei der Beklagten pflegeversicherte Klägerin leidet an einer frühkindlichen Entwicklungsstörung mit Ausbildung eines Krampfleidens. Auf einen entsprechenden Antrag gewährte die Beklagte der Klägerin nach einer Begutachtung durch den medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) am 06. Mai 2004 mit Bescheid vom 27. Mai 2004 Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I rückwirkend ab 1. Februar 2004. Dem lag ein von der Ärztin ausweislich des Gutachtens vom 17. Mai 2004 ermittelter täglicher Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege von 68 Minuten und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 45 Minuten zu Grunde.
Anlässlich einer von der Beklagten am 12. Juli 2006 durch den MDK veranlassten Folgebegutachtung stellte die Pflegefachkraft im Gutachten vom 2. August 2006 einen täglichen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 32 Minuten und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 60 Minuten fest. Der Gutachter verwies darauf, dass sich der Zeitumfang für die körperbezogenen Verrichtungen angesichts der psychomotorischen Weiterentwicklung deutlich verringert habe. Essen, Trinken, Kleiden, Gehen sowie Transfer seien selbständig möglich.
Nach einer Anhörung vom 8. August 2006 zu einer beabsichtigten Entziehung der Pflegeleistungen hob die Beklagte mit Bescheid vom 29. August 2006 gestützt auf § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) die Bewilligung von Pflegegeld ab 31. Oktober 2006 auf. Dagegen legte die Klägerin am 5. September 2006 Widerspruch ein. Die Beklagte korrigierte den Zeitpunkt der Aufhebung der Pflegeleistungen mit Bescheid vom 25. September 2006 auf den 1. Oktober 2006 und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2007 zurück.
Mit der am 23. Mai 2007 zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren auf Fortgewährung von Leistungen der Pflegestufe I weiterverfolgt. Der Pflegebedarf habe sich seit der letzten Begutachtung im Mai 2004 nicht geändert.
Die Beklagte veranlasste eine erneute Begutachtung der Klägerin durch den MDK, die ausweislich der Feststellungen der Ärztin im Gutachten vom 27. Februar 2008 im Bereich der Grundpflege einen Hilfebedarf von 33 Minuten täglich und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung einen Hilfebedarf von 45 Minuten täglich ergab. Die Ärztin führte aus, dass die Verringerung des Pflegebedarfs im Vergleich zur Erstbegutachtung im Jahre 2004 auf Fortschritte bei den lebenspraktischen Verrichtungen zurückzuführen seien, und hielt an dieser Einschätzung in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 19. August 2008 fest.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 8. Dezember 2008 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Aufhebung des bewilligten Pflegegeldes aufgrund einer wesentlichen Änderung im Hilfebedarf gerechtfertigt sei. Die Klägerin sei nicht mehr pflegebedürftig, weil der Grundpflegebedarf unter Zugrundelegung der Feststellungen des MDK unter 45 Minuten täglich gesunken sei.
Gegen den am 18. Dezember 2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 19. Januar 2009 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 8. Dezember 2008 und die Bescheide der Beklagten vom 29. August 2006 und 25. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz - SGG - zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben und auch begründet.
Zu Unrecht...