Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Arbeitslosengeld im Weg des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bei Versäumung der Antragsfrist
Orientierungssatz
1. Anspruch auf den noch nicht erschöpften Arbeitslosengeld-Restanspruch besteht dann, wenn nach seiner Entstehung noch keine vier Jahre verstrichen sind. Dabei handelt es sich um eine Ausschlussfrist. Auch Härten im Einzelfall sind nicht über eine Fristverlängerung ausgleichbar.
2. Hat sich der Arbeitslose vor Ablauf der Vierjahresfrist nach seinem Arbeitslosengeld-Restanspruch bei der Agentur für Arbeit erkundigt und ist er hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen unrichtig belehrt worden, so ist er im Weg des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe er die Antragsfrist nicht versäumt.
3. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung desjenigen Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger eine ihm aus dem Sozialrechtsverhältnis erwachsene Nebenpflicht ordnungsgemäß wahrgenommen hätte, dies aber pflichtwidrig unterblieben ist.
4. Dem Gericht ist es nicht verwehrt, seine Entscheidung auf eine überzeugende Erklärung des Klägers selbst zu stützen. Der Untersuchungsgrundsatz schließt nicht aus, Verfahrensbeteiligte zur Sachaufklärung anzuhören und deren Aussagen zu verwerten.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 12. August 2002 aufgehoben.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 21. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. April 2001 verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld für die Zeit ab 24. März 2001 für 169 Anspruchstage zu gewähren.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Arbeitslosengeld (Alg) ab 24. März 2001.
Die am ... 1969 geborene Klägerin war bis zum 30. September 1994 als Maschinistin versicherungspflichtig beschäftigt und bezog ab 01. Oktober 1994 Alg. Ab dem 01. Mai 1994 bis zum 27. Januar 1997 befand sie sich in einer Bildungsmaßnahme “Umschulung Bauzeichnerin„ und erhielt während dieser Zeit Unterhaltsgeld (UHG). Auf ihren Arbeitslosengeldantrag bezog sie ab 28. Januar 1997 erneut Alg (Bescheid vom 11. Februar 1997, Alg für 312 Tage). Die Klägerin bezog Alg bis zum 12. Juli 1997. Ab dem 14. Juli 1997 bis 23. März 2001 erhielt die Klägerin Mutterschaftsgeld beziehungsweise Erziehungsgeld. Im Einzelnen: Im Zusammenhang mit der am 29. August 1997 erfolgten Geburt ihrer Tochter E. erhielt die Klägerin vom 14. Juli 1997 bis 24. Oktober 1997 Mutterschaftsgeld und im Anschluss daran Erziehungsgeld bis 28. September 1999. Während dieses Zeitraums war sie nach einer Bescheinigung der Bundesknappschaft, Geschäftsstelle Schwarze Pumpe, vom 10. Dezember 2002 in der Zeit vom 06. Januar 1998 bis 27. Januar 1998 arbeitsunfähig. Am 24. März 1999 gebar die Klägerin ihren Sohn J. O.. Sie erhielt daraufhin weiterhin Erziehungsgeld bis zum 23. März 2001 (Bescheide vom 26. April 1999 und 10. März 2000).
Am 30. Januar 2001 meldete sich die Klägerin mit Wirkung zum 24. März 2001 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. März 2001 ab. Die Klägerin habe nicht mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden und daher keine neue Anwartschaft erworben. Es bestehe auch kein Rechtsanspruch aus einer früheren Anwartschaft. Den hiergegen am 23. März 2001 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03. April 2001 zurück. In der verlängerten Rahmenfrist vom 28. Juli 1997 bis 23. März 2001 könne lediglich die Zeit vom 13. Juli 1997 bis 31. Dezember 1997 als Anwartschaftszeit berücksichtigt werden. Dies reiche nicht aus. Der Restanspruch auf Alg könne nicht mehr geltend gemacht werden, da nach seiner Entstehung am 28. Januar 1997 vier Jahre vergangen seien.
Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 03. Mai 2001 bei dem Sozialgericht Cottbus Klage erhoben: Die Rahmenfrist erstrecke sich auf den Zeitraum vom 13. Juli 1994 bis 23. März 2001, weil sie in dieser Zeit ihre Kinder erzogen und betreut habe. In diesem Zeitraum habe sie auch in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden. Darüber hinaus habe sie sich bereits am 15. November 2000 beim Arbeitsamt Spremberg darüber erkundigt, wann sie sich wieder arbeitslos melden solle. Sie habe dort von der zuständigen Sachbearbeiterin die Auskunft erhalten, der erneute Antrag auf Alg habe Zeit bis Februar 2001.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass ihr ein Beratungsvermerk über eine Vorsprache zu diesem Zeitpunkt nicht vorliegt.
Das Sozialgericht hat den Zeugen S. K. (verehelicht B., Ehemann der Klägerin) zur vermeintlichen Vorsprache der Klägerin am 15. November 2000 gehört. Dieser hat ausgeführt, dass die Klägerin, nachdem er seine Angelegenheit erledigt habe, in einem Zimmer im Erdgeschoss ...