Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterhaltsgeld. Leistungsgruppenzuordnung. Lohnsteuerklassenwechsel von Ehegatten. Hinweis- und Beratungspflicht der Bundesagentur für Arbeit. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Die in § 137 Abs 4 S 1 Nr 1 und Nr 2 SGB 3 normierten leistungsrechtlichen (arbeitsförderungsrechtlichen) Auswirkungen eines Lohnsteuerklassenwechsels von Ehegatten nach erfolgter Eheschließung begegnen verfassungsrechtlichen Bedenken. Ihnen kann die Bundesanstalt für Arbeit (BA) nur begegnen, wenn sie verheiratete Arbeitslose jeweils bereits bei Arbeitslosmeldung beziehungsweise bei Leistungsbewilligung gesondert und eingehend auf die Gefahren eines steuerrechtlichen Lohnsteuerklassenwechsels für den arbeitsförderungsrechtlichen Anspruch und eine konkrete Beratungsnotwendigkeit durch die Arbeitsämter (jetzt Agenturen für Arbeit) hinweist. Wenn die BA der aufgezeigten Beratungspflicht nicht nachgekommen ist, kann aus der Verletzung dieser Pflicht ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch erwachsen.

2. Wenn Ehegatten erstmalig nach Eheschließung eine Änderung ihrer Lohnsteuerklassen in ihre Lohnsteuerkarte eintragen lassen, liegt ein Lohnsteuerklassenwechsel iS des § 137 Abs 4 SGB 3 vor und keine Lohnsteuerklassenänderung.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 06.04.2006; Aktenzeichen B 7a AL 82/05 R)

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Unterhaltsgeld (UHG) für den Zeitraum vom 16. September 1999 bis 31. Juli 2000 und die damit verbundene Erstattung überzahlten UHG in Höhe von insgesamt 3984,50 DM (2037,27 €).

Die ... 1971 geborene Klägerin nahm ab dem 01. April 1999 an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme teil. Mit Bescheid vom 16. April 1999 bewilligte die Beklagte der zu diesem Zeitpunkt noch unverheirateten Klägerin UHG mit einem täglichen Leistungssatz von 44,38 DM (= 310,66 DM wöchentlich/Bemessungsentgelt 730,00 DM wöchentlich/Leistungsgruppe A/Leistungssatz 67 %/SGB III-LeistungsentgeltVO 1999) ab 01. April 1999 bis voraussichtlich 28. März 2002.

Nach einem Beratungsvermerk sprach die Klägerin am 16. September 1999 bei der Beklagten vor und teilte mit, seit dem 09. September 1999 verheiratet zu sein.

Mit Änderungsbescheid vom 14. Januar 2000 bewilligte die Beklagte der Klägerin unter Zugrundelegung eines unveränderten Bemessungsentgeltes von 730,00 DM wöchentlich weiterhin UHG, nunmehr mit einem täglichen Leistungssatz von 45,48 DM (SGB III-LeistungsentgeltVO 2000), weiterhin nach der Leistungsgruppe A unter Berücksichtigung eines Kindes. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 24. Februar 2000 regelte die Beklagte das UHG unter Berücksichtigung eines erhöhten Bemessungsentgeltes von 740,00 DM wöchentlich ab 20. Februar 2000 neu, mit Änderungsbescheid vom 26. Juli 2000 erhöhte sie das Bemessungsentgelt ab 22. Juni 2000 erneut, und zwar auf 820,00 DM wöchentlich. Stets war die Leistungsgruppe A Berechnungsgrundlage.

Mit Schreiben vom 26. Juli 2000 forderte die Beklagte die Lohnsteuerkarten für die Jahre 1999 bis 2000 an. Am 03. August 2000 übersandte die Klägerin die Lohnsteuerkarte für das Jahr 2000, auf welcher die Lohnsteuerklasse V eingetragen war.

Mit Schreiben vom 21. August 2000 hörte die Beklagte die Klägerin hinsichtlich eines zu Unrecht bezogenen Unterhaltsgeldes in der Zeit vom 01. Januar 2000 bis 31. Juli 2000 an.

Am 23. August 2000 übersandte die Klägerin die am 16. September 1999 geänderte "Ersatz-Lohnsteuerkarte" für das Jahr 1999, auf der ab dem 09. September 1999 statt der Lohnsteuerklasse I die Lohnsteuerklasse V vermerkt war.

Am 30. August 2000 nahm die Klägerin zum Anhörungsschreiben vom 21. August 2000 dahingehend Stellung, dass sie bei Mitteilung der Eheschließung auch auf die geänderte Steuerkarte hingewiesen habe. Davon habe die Mitarbeiterin jedoch keine Kenntnis nehmen wollen.

Mit Bescheid vom 20. Oktober 2000 hob die Beklagte den "Bescheid über die Bewilligung der Leistung" gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ab 16. September 1999 teilweise auf und regelte die Erstattung von 3984,50 DM.

Bereits mit Änderungsbescheid vom 24. August 2000 hatte die Beklagte der Klägerin ab dem 22. Juni 2000 UHG nur noch unter Berücksichtigung der Leistungsgruppe D gewährt (Folgebescheide vom 12. Januar 2001, 09. Januar 2002, 25. Februar 2002).

Den gegen den Bescheid vom 20. Oktober 2000 erhobenen Widerspruch vom 27. November 2000 wies die Beklagte nach nachgeholter Anhörung hinsichtlich des Aufhebungszeitraums 16. September 1999 bis 31. Dezember 1999 mit Schreiben vom 28. Februar 2001 mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2001 zurück. Die Klägerin habe aufgrund der Änderung der Steuerklasse lediglich Anspruch auf Leistungen nach der Leistungsgruppe D gehabt. Wenn trotz der erhaltenen Belehrungen in den übergebenen Merkblättern versäumt worden sei, dem Arbeitsamt die eingetretene Änderung in den Verhältnissen unverzüglich anzuzeigen, so sei dies auf ein grob fahrlässiges V...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Kranken- und Pflegeversicherungs Office enthalten. Sie wollen mehr?