Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 4111. arbeitstechnische Voraussetzung. kumulative Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren. keine Abweichung vom Regelwert. Nichtraucher. Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMAS vom 1.10.2006. chronisch obstruktive Bronchitis. Bergmann im Steinkohlenbergbau
Leitsatz (amtlich)
1. Die Legaldefinition der Berufskrankheit nach der BKV Anl 1 Nr 4111, die die Regelvermutung enthält, dass bei einer kumulativen Feinstaubdosis von 100 Jahren der Nachweis der Ursächlichkeit des Steinkohlenstaubes für die Entstehung der Bronchitis bzw des Emphysems erbracht ist, lässt aufgrund des Wortlauts ("in der Regel") in begründeten Ausnahmefällen Abweichung vom Regelwert (100 Feinstaubjahre) in einem Schwankungsbereich von 5 % zu.
2. Die Nierauchereigenschaft des Versicherten, die im Einzelfall die Annahme eines solchen Ausnahmefalles begründen kann, rechtfertigt angesichts des Wortlauts und des Inhalts der Materialien, die zur Einführung der BK 4111 geführt haben, keine weitergehende Abweichung vom Regelwert. Der gegenläufige Hinweis des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom 1.10.2006, dem keine neuen wissenschaftliche Erkenntnisse zugrunde liegen und dem der Verordnungsgeber nicht durch eine entsprechende Änderung der BKV Rechnung getragen hat, vermag ebenfalls keine weitergehende Abweichung zu rechtfertigen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 05.04.2006 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger ein Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente wegen Vorliegens einer Berufskrankheit nach Nr. 4111 (Chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlenbergbau) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung - BKV - (BK 4111) zusteht.
Der 1939 Kläger war nach entsprechender dreijähriger Ausbildung, die ab November 1954 unter Tage absolviert wurde, von Januar 1957 bis 14.09.1963 überwiegend als Hauer im saarländischen Steinkohlenbergbau unter Tage bei der Saarbergwerke AG tätig. Danach war er bis Februar 1964 bei der Firma Hä. in B. mit Kanalisationsarbeiten beschäftigt. In der Zeit von März 1964 bis März 1967 arbeitete der Kläger bei der Firma D.-H. GmbH als Gesteinshauer im Schachtbau (Abteufen und Streckenvortrieb). Nach anschließender Arbeitslosigkeit war der Kläger von Juli 1968 bis Juni 1993 bei der Firma I. Saarnadellager in Ho. an Drehautomaten beschäftigt. Seit Oktober 1993 ist er Rentner.
Mit am 28.04.2004 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Bergbau-Berufsgenossenschaft - im Folgenden die Beklagte genannt -, eingegangenem Schreiben seiner Bevollmächtigten machte der Kläger geltend, dass er während seiner beruflichen Tätigkeit in großem Umfang Schadstoffen ausgesetzt gewesen sei, was bei ihm als Nichtraucher eine Atemwegserkrankung hervorgerufen habe, die bei einer möglichen Exposition von mehr als 100 Staubjahren bei Bergleuten unter Tage als Berufskrankheit anzuerkennen und zu entschädigen sei.
Nach Beiziehung eines Befundsberichts des Hausarztes des Klägers (erstattet von dem Facharzt für Allgemeinmedizin H. D.), dem ein Bericht der Medizinischen Klinik und Poliklinik - Innere Medizin V - des Universitätsklinikums des Saarlandes (erstattet von Prof. Dr. Sy., Dr. Ha. und Dr. F. am 29.09.2004) über am 06.08.2004 und 09.09.2004 durchgeführte ambulante Untersuchungen beigefügt war, sowie der Schichtenbuchauszüge über die Tätigkeiten und Einsatzorte des Klägers bei den Saarbergwerken stellte der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten (TAD, jetzt: Präventionsbereich) in seiner Stellungnahme vom 30.11.2004 fest, aufgrund der gemessenen, personenbezogenen Staubwerte bzw. Würdigung der Verhältnisse im saarländischen Steinkohlenbergbau habe der Kläger während seiner Beschäftigungszeit im Saarbergbau eine kumulative Feinstaubdosis von 86 Staubjahren erreicht. Nach der anliegenden Berechnung ist der TAD zur Ermittlung der Staubbelastung von ungünstigsten Arbeitsbedingungen (so genannte worst-case-Betrachtung) ausgegangen.
Nachdem die Gewerbeärztin Dr. Ö. in ihrem Gutachten nach § 4 BKV vom 05.01.2005 das Vorliegen einer BK 4111 wegen Fehlens der geforderten arbeitstechnischen Voraussetzungen von 100 Staubjahren verneint hatte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28.02.2005 gestützt auf die Feststellungen des TAD die Anerkennung einer BK 4111 sowie die Gewährung einer entsprechenden Entschädigung ab. Den dagegen am 14.03.2005 erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 17.06.2005 zurück.
Im Klageverfahren hat das Sozialgericht für das Saarland (SG) Befundberichte von dem Hausarzt Do. vom 20.07.2005 sowie Dr. Ko. und Prof. Dr. Sy. (Uniklinik Ho.) v...