Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Amtsenthebung des Vorstands einer Krankenkasse
Orientierungssatz
1. Die Rechtsbeziehung zwischen dem Geschäftsführer der Krankenkasse und der Krankenkasse wird entsprechend §§ 35a Abs. 7 S. 1, 59 Abs. 3 SGB 4 entscheidend durch öffentlich-rechtliche Normen des Sozialrechts geprägt.
2. Wendet sich dieser im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen seine Enthebung vom Amts des Vorstands, deren Sofortvollzug von der Krankenkasse angeordnet ist, so ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG das zulässige Rechtsmittel.
3. Der Eilantrag hat u. a. dann Erfolg, wenn der angefochtene Amtsenthebungsbeschluss offenbar rechtswidrig ist. Sind die Sitzungen gemäß §§ 63 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 2 SGB 4 nicht hinreichend bekannt gemacht worden, so ist die Amtsenthebung rechtswidrig, mit der Folge, dass die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs gegen den ergangenen Beschluss anzuordnen ist.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 4. April 2013 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Beschluss der Antragsgegnerin vom 15. Mai 2012 angeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Gründe
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen seine Enthebung vom Amt des Vorstands der Antragsgegnerin.
1. Hierfür ist gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet (so bereits LSG Schleswig-Holstein 12.9.1989 - L 1 Kr 46/88 - Juris, bezogen auf die Amtsentbindung eines stellvertretenden Geschäftsführers einer Krankenkasse). Denn der Antragsteller greift ausschließlich den Amtsenthebungsbeschluss an und insoweit wird die Rechtsbeziehung zwischen den Beteiligten entscheidend durch öffentlich-rechtliche Normen des Sozialrechts geprägt, hier §§ 35a Abs. 7 Satz 1, 59 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV). Die Beendigung seines privatrechtlich geprägten Anstellungsverhältnisses ist hingegen nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits. Zwischen diesem und seiner Stellung als Organ der Antragsgegnerin besteht eine Trennung (vgl. grundlegend BGH 10.1.2000 - II ZR 251/98 - Juris; aus jüngerer Zeit BGH 8.1.2007 - II ZR 267/05 - Juris, m.w.N.). Allein aufgrund der privatautonomen Vereinbarung zwischen den Beteiligten würde eine wirksame Amtsenthebung gleichzeitig als Kündigung des Anstellungsverhältnisses gelten, vgl. § 9 Abs. 3 Satz 2 des Vorstandsvertrags.
2. Die am 8. Mai 2013 eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 4. April 2013, der dem Antragsteller am 8. Mai 2013 zugestellt worden ist, ist statthaft, fristgerecht und auch sonst gemäß §§ 172, 173 SGG zulässig. Sie ist auch begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Eilantrag des Antragstellers abgelehnt.
Bei sachdienlicher Auslegung seines Eilantrags begehrt der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung seines am 18. September 2012 eingelegten Widerspruchs gegen den Amtsenthebungsbeschluss vom 15. Mai 2012 anzuordnen und nicht "wiederherzustellen". Anders als in der Terminologie des § 80 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) umfasst im sozialgerichtlichen Verfahren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung auch den Fall, dass die Verwaltung wie vorliegend den kraft Gesetz eintretenden Suspensiveffekt des Widerspruchs durch eine Anordnung im Einzelfall aufhebt (vgl. Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, V. Kapitel, Rn. 30, S. 195).
Der so verstandene Eilantrag ist gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG zulässig. Insbesondere war der Antragsteller nicht gehalten, zunächst bei der Antragsgegnerin die Aussetzung der Vollziehung nach § 86a Abs. 3 Satz 1 SGG zu beantragen (vgl. BSG 17.10.2007 - B 6 KA 4/07 R - Juris). Es fehlt auch sonst nicht am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Der Antragsteller ist durch die Anordnung des Sofortvollzugs beschwert, so dass ein erfolgreicher Eilantrag seine Rechtsposition verbessern würde. Dass er sein Vorstandsamt möglicherweise nicht mehr ausüben wird, weil bereits 15 Monate seit seiner Amtsenthebung vergangen sind, inzwischen ein anderer Vorstand bestellt ist und die Beteiligten bei Erfolg dieses Eilantrags mutmaßlich eine Freistellung vereinbaren werden, ist eine lebensnahe Erwägung, die nicht das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers entfallen lässt. Schließlich hat er sein Recht, gegen die Anordnung des Sofortvollzugs vorzugehen, nicht verwirkt. Zwar kann die Befugnis zur Anrufung der Gerichte im Einzelfall der Verwirkung unterliegen (vgl. grundlegend BVerfG 26.1.1972 - 2 BvR 255/67 - Juris). Doch scheidet eine Verwirkung hier schon deswegen aus, weil das Verhalten des Antragstellers der Antragsgegnerin keinen Anlass gab darauf zu vertrauen, er werde nicht um gerichtlichen Eilrechtsschutz nachsuc...