Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Versorgung mit Blutzuckerteststreifen bei Diabetes mellitus
Orientierungssatz
1. Nach § 31 Abs. 1 S. 1 SGB 5 haben Versicherte Anspruch auf Versorgung u. a. mit Blutzuckerteststreifen.
2. Blutzuckerteststreifen sind Medizinprodukte, mit denen Patienten die Höhe ihres Zuckerwertes im Blut selbst messen können. Nach Nr. 52 der Anlage 3 zu den Arzneimittel-Richtlinien sind Blutzuckerteststreifen bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2, die nicht mit Insulin behandelt werden, von der Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen.
3. Eine Ausnahme gilt lediglich bei instabiler Stoffwechsellage. Diese kann gegeben sein bei interkurrenten Erkrankungen, Ersteinstellung auf oder Therapieumstellung bei oralen Antidiabetika mit hohem Hypoglykämierisiko. Der Versorgungsanspruch ist grundsätzlich begrenzt auf 50 Teststreifen je Behandlungssituation.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 21. März 2013 geändert.
Die Beklagte wird gemäß ihrem Teilanerkenntnis verurteilt, den Kläger einmalig mit 50 Blutzuckerteststreifen zu versorgen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt ein Viertel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch auf Versorgung mit Blutzuckerteststreifen.
Der 1940 geborene Kläger leidet unter anderem an Diabetes mellitus Typ 2, ist aber nicht insulinpflichtig. Bis Oktober 2011 erhielt er auf Kosten der Beklagten Blutzuckerteststreifen zur Selbstmessung. Seinen Antrag auf weitere Kostenübernahme lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Oktober 2011 ab und verwies darauf, dass der Gemeinsame Bundesausschuss zu dem Ergebnis gekommen sei, dass nicht insulinpflichtige Diabetiker des Typs 2 von einer Selbstmessung nicht profitieren würden. Eine Ausnahmeregelung bestehe allein für nicht insulinpflichtige Typ 2-Diabetiker mit instabiler Stoffwechsellage oder Blutzuckerschwankungen, die auftreten könnten, wenn zum Diabetes mellitus noch weitere Erkrankungen hinzukämen oder Patienten neu auf bestimmte orale Antidiabetika eingestellt oder umgestellt würden. In diesen Fällen seien vorübergehende Kontrollen des Blutzuckerspiegels sinnvoll und die Kosten könnten von den Krankenkassen übernommen werden; dazu gehöre der Kläger aber nicht.
Der Kläger erhob dagegen Widerspruch mit der Begründung, die Ausnahmeregelung treffe auf ihn zu. Die Blutzuckerkontrolle sei ein wichtiges Hilfsmittel zur Verlaufskontrolle und Therapieanpassung.
Der behandelnde Arzt des Klägers, Dr. U., teilte der Beklagten auf entsprechende Anfrage unter dem 18. November 2011 mit, dass er den Kläger seit Mai 2004 betreue. Neben dem Diabetes mellitus bestünden bei ihm unter anderem eine Hypertonie, eine Koronare Dreigefäßerkrankung, Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern, eine Depression sowie eine Angststörung. Insgesamt bestehe bei ihm ein instabiler Zustand, was nicht nur den Diabetes, sondern auch den Blutdruck und die kardiale Situation betreffe. Aufgrund von Complianceproblemen und Nebenwirkungen werde die Einnahme von Tabletten nicht konsequent bzw. derzeit überhaupt nicht durchgeführt.
Der von der Beklagten beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung N. (MDK) stellte unter dem 23. November 2011 fest, dass eine instabile Stoffwechsellage bei dem Kläger gegeben sei. Ursächlich sei zwar seine Incompliance, aktuell sei jedoch bei Tablettenverweigerung das Risiko einer stationären Krankenhausbehandlung relativ hoch, sodass eine befristete Übernahme der Kosten für Blutzuckerteststreifen sinnvoll und wirtschaftlich erscheine.
Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2011 zurück, da die bei dem Kläger vorliegende instabile Stoffwechsellage selbstverschuldet sei.
Mit seiner dagegen erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, er habe aus guten Gründen eine Insulintherapie bisher abgelehnt und therapiere seine Krankheit mit Erfolg selbst durch ausgewogene Ernährung und Flüssigkeitszufuhr. Allerdings komme kein Diabetiker ohne Messungen aus.
Auf Anfrage des Sozialgerichts hat Dr. U. mit Schreiben vom 4. März 2013 mitgeteilt, dass bei dem Kläger aufgrund der weiteren Erkrankungen, insbesondere der Kardialsituation, eine sehr gute Diabeteseinstellung wichtig sei. Jedoch sei es aufgrund seiner starken Ängste schwer, diese zu erreichen. Eine Anbindung an eine Diabetespraxis mit entsprechend straffer Führung sei gescheitert, weil der Kläger aufgrund seiner Angsterkrankung das Haus kaum noch verlasse. Um überhaupt eine gewisse medizinische Überwachung zu gewährleisten, lasse er ihn ein- bis zweimal pro Quartal mit einem Krankentransportwagen auf Kosten der Beklagten in die Praxis bringen.
Im Verlauf des Klagverfahrens hat sich die Beklagte vergleichsweise bereit erklärt, den Kläger zunächst zeitlich befristet für sechs Monate mit je 50 Teststreifen pro Quartal zu versorgen, mit der Maßg...