Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Voraussetzungen für den einstweiligen Rechtsschutz des Pflegeeinrichtungsbetreibers gegen die Kündigung des Versorgungsvertrags
Orientierungssatz
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Kündigung eines Versorgungsvertrags nach § 74 Abs 1 SGB 11 ist anzuordnen, wenn das Interesse des Pflegeeinrichtungsbetreibers (Antragsteller) das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Dabei sind auf Seiten des Betreibers die Bedrohung seiner wirtschaftlichen Existenz, dessen Verhalten und die sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisse in die Interessenabwägung einzubeziehen. Auf Seiten der Landesverbände der Pflegekassen (Antragsgegner) ist das Verhalten der Behörde sowie das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung, das bedeutet der Schutz des Pflegebedürftigen in der Einrichtung, von Bedeutung.
2. Im Hinblick darauf, dass die Entscheidung, den Versorgungsvertrag unter Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen, im Ermessen der Antragsgegner stand, ist eine Wertung der festgestellten Qualitätsmängel unerlässlich. Ein - nach der Überzeugung des Senats - hinreichender Grund für den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung des Versorgungsvertrags wäre die akute gesundheitliche Beeinträchtigung der Heimbewohner durch die Pflegedefizite gewesen.
3. Nach der Rechtsprechung des BSG ist für die Rechtmäßigkeit der ordentlichen Kündigung eines Versorgungsvertrags erforderlich, dass die Antragstellerin in schwerwiegender und anhaltender Weise ihre vertraglichen Pflichten und die Zulassungsvorrausetzungen verletzt hat (vgl BSG vom 12.6.2008 - B 3 P 2/07 R = BSGE 101, 6 = SozR 4-3300 § 79 Nr 1).
4. Hat der Medizinische Dienst der Krankenversicherung bei keinem der von ihm untersuchten Heimbewohner Gesundheitsschäden festgestellt, die sich eindeutig als Folge von Pflegemängeln darstellen, so führt die Abwägung der Folgen, die die Kündigung des Versorgungsvertrags für die Pflegeeinrichtung bedeuten würde, mit dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Kündigung zu dem Ergebnis, dass das Interesse der Pflegeeinrichtung überwiegt.
5. Allein eine konkrete gesundheitliche Beeinträchtigung auch nur einiger Heimbewohner würde den Sofortvollzug der Kündigung des Versorgungsvertrags rechtfertigen.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegner vom 18. Februar 2008 wird angeordnet.
Die Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Feststellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Berufung, mit der sie sich gegen die ordentliche Kündigung des mit den Antragsgegnern bestehenden Versorgungsvertrages gewandt hat.
Sie betreibt ein Pflegeheim in H. mit ca. 158 Plätzen.
Am 15. August 2005 schlossen die Antragstellerin sowie die Antragsgegner einen ab 1. Juni 2005 gültigen Versorgungsvertrag über die stationäre Versorgung der bei den Antragsgegnern versicherten Pflegebedürftigen.
Bereits vor Inkrafttreten dieses Versorgungsvertrags führte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) im Auftrag der Antragsgegner am 24. Mai 2005 eine Qualitätsprüfung in den Räumen der Antragstellerin durch. Am 12. Dezember 2006 erfolgte eine weitere Qualitätsprüfung (sog. Anlassprüfung) durch den MDK. Die Heimaufsicht der Stadt H. leitete an den MDK Informationen über ein im Oktober 2006 erfolgtes Gespräch zwischen der Heimaufsicht und einigen (ehemaligen) Mitarbeiterinnen der Antragstellerin. Diese berichteten, sowohl die Arbeitssituation für die Pflegekräfte als auch die Betreuung der Bewohner habe sich verschlechtert, seit die - ausgebildete Tierärztin - Frau Dr. G. in erheblichem Maße in die Pflegekonzeption und den Arbeitsablauf in dem Heim eingreife. Es bestehe ein minutiöser Pflegeplan für alle Pflegekräfte. Die Heimbewohner müssten alle um 8.30 Uhr frühstücken und dürften nicht "ausschlafen". Die Pflegekräfte erhielten ein Grundgehalt und Leistungsprämien, die aus ihrer Sicht jeden Monat neu und willkürlich festgesetzt würden. Ziel sei es, dass die Pflegekräfte die Bewohner zu einem bestimmten Verhalten bewegen sollten, dann werde die entsprechende Prämie gezahlt. Beide Pflegedienstleiterinnen verließen die Antragstellerin zum 15. November 2006.
Der Prüfbericht des MDK vom 10. Januar 2007 wies über die Prüfung im Dezember 2006 im Einzelnen Folgendes aus: Der Stellenschlüssel betrug danach 35,69 (Soll: 31,97). Im Rahmen der Überprüfung der sog. Ergebnisqualität wurden neun Heimbewohner untersucht und befragt. Am Ende des Berichtes finden sich unter der Rubrik "empfohlene Maßnahmen unmittelbarer Handlungsbedarf", u. a. ein sachgerechter Umgang bei einem Dekubitusrisiko oder bereits vorliegendem Dekubitus in Form von Ermittlung individueller bewohnerbezogener Bewegungs-Lagerungs-Intervalle unter Berücksichtigung der Haut- und Wundsituation, ein sachgerechter Umgang mit eingesetzten Hilfsmitteln, das Erstellen eines handlungsleitenden Ernährungs...