Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Kryokonservierung von Samenzellen aufgrund einer bevorstehenden Geschlechtsangleichung. Ermöglichung einer späteren Kinderwunschbehandlung. keine potenziell fertilitätsschädigende Medikation iS des § 3 Abs 1 KryoRL

 

Orientierungssatz

1. Ein Anspruch auf Kostenübernahme einer Kryokonservierung von Samenzellen besteht nicht, wenn die Konservierung aufgrund einer bevorstehenden Geschlechtsangleichung nur vorsorglich für einen zukünftigen Kinderwunsch erfolgen soll.

2. Eine Transition stellt keine potenziell fertilitätsschädigende Medikation iS des § 3 Abs 1 KryoRL dar, weil bei einer Geschlechtsangleichung nicht potentiell noch Keimzellen vorhanden sind. Nach der Geschlechtsangleichung liegen vielmehr keinerlei Samenzellen mehr vor (entgegen SG Berlin vom 16.11.2022 - S 28 KR 63/22).

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 24. Februar 2023 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der am 18. Dezember 1999 geborene Kläger begehrt von der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Kryokonservierung von Sperma in Höhe von 693,77 Euro.

Mit Bescheid vom 4. Januar 2022 lehnte die Beklagte den Antrag auf Übernahme der Kosten für eine Kryokonservierung von Sperma wegen einer Transition von Mann zu Frau aufgrund Transsexualität des Klägers ab. Sie begründete dies damit, dass seit dem 1. Juli 2021 unter den Voraussetzungen des § 27a Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. der Richtlinie zur Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder Keimzellgeweben sowie entsprechende medizinische Maßnahmen wegen keimschädigender Therapie (Kryo-RL) ein Sachleistungsanspruch auf Maßnahmen der Kryokonservierung bestehe. Da beim Kläger keine keimzellschädigende Therapie im Rahmen der Kryo-RL durchgeführt werde, sei eine Kostenübernahme zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgeschlossen.

Der Kläger legte mit Schreiben vom 14. Januar 2022 Widerspruch ein und begründete diesen damit, dass Versicherte gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V einen Anspruch auf eine erforderliche Behandlung hätten. Dieser umfasse nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 32 SGB V u.a. die Versorgung mit Heilmitteln und die Durchführung von entsprechenden Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Der von der Beklagten zugrunde gelegte Katalog sei dabei lediglich als Richtlinie zu werten, im Rahmen einer durchzuführenden, konkreten Prüfung seien die besonderen, individuellen Gegebenheiten mit einzubeziehen. Vorliegend sei zu berücksichtigen, dass beim Kläger ein entsprechender Kinderwunsch vorhanden sei. Daher sei eine Kryokonservierung vor Durchführung einer gegengeschlechtlichen Hormontherapie erforderlich, um den Kinderwunsch in der Zukunft umsetzen zu können.

Der Kläger schloss mit der J. am 8. Februar 2022 einen Vertrag über die Kryokonservierung und Lagerung von reproduktivem Ejakulat in Höhe von 693,77 Euro ab.

Der Kläger beantragte beim SG Hildesheim am 22. Februar 2022 im Rahmen einer einstweiligen Anordnung ( S 60 KR 4010/22 ER ) bei der Beklagten die vorläufige Übernahme der Kosten für die Kryokonservierung von Sperma, die mit Beschluss vom 24. Mai 2022 abgelehnt wurde. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gehöre die Kryokonservierung menschlicher Keimzellen generell nicht zu den Leistungen nach § 27a SGB V , da sich diese nur auf Maßnahmen erstrecke, die dem einzelnen Zeugungsakt entsprächen und unmittelbar der Befruchtung dienten. Die Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen erfolge vorliegend nicht im Hinblick auf eine konkrete bevorstehende Befruchtung, vielmehr würden vorsorglich gewonnene Samenzellen für eine spätere Wiederholung eines oder einen erstmaligen Versuch der künstlichen Befruchtung konserviert ( BSG, Urteil vom 25. Mai 2000, B 8 KM 3/99 KR R, Beschluss vom 9. Dezember 2004, B 1 KR /03 B, Beschluss vom 27. April 2010, B 1 KR 10/09 R und Urteil vom 28. September 2010, B 1 KR 26/09 R ). Genau dieses liege beim Kläger vor. - Der Beschluss des SG wurde rechtskräftig.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2022 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die Kryokonservierung ab und begründete dies damit, dass die vom Gemeinsamen Bundesaus-schuss (GBA) zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten anzuwenden seien. Die Richtlinien hätten normativen Charakter. Der GBA habe den gesetzlichen Auftrag, neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) zu bewerten. Versicherte hätten Anspruch auf Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder von Keimzellgeweben sowie auf die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen, wenn die Kryokonservierung wegen einer Erkrankung oder deren Behandlung mit einer keimzellschädigenden Therapie medizinisch notwendig erscheine, um spätere medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwan...

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