Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wie-Berufskrankheit. Parkinson. Landwirt. Exposition gegenüber Pestiziden. neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft. Beratungen des ÄSVB beim BMAS. Sperrwirkung: Entscheidung durch Berufsgenossenschaften und Gerichte
Leitsatz (amtlich)
1. Während der Beratungen des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales über die Voraussetzungen der Bezeichnung einer Krankheit als Berufskrankheit ist eine Entscheidung durch Berufsgenossenschaften und Gerichte gesperrt (Anschluss an BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 20/01 R).
2. Ein erheblich erhöhtes Risiko von Landwirten, nach einer Exposition gegenüber Pestiziden an Parkinson zu erkranken, ist medizinisch-wissenschaftlich gegenwärtig nicht gesichert.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 9. August 2017 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Anerkennung einer Parkinson-Krankheit wie eine Berufskrankheit (BK) als Versicherungsfall nach § 9 Abs 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) - Gesetzliche Unfallversicherung (UV) -.
Der im Jahr 1940 geborene Kläger war während seines Berufslebens in der Landwirtschaft tätig, seit dem Jahr 1976 bis zur Aufgabe des Betriebes im Jahr 2006 als selbstständiger Landwirt. Er betrieb schwerpunktmäßig Ackerbau und war Pestiziden (Pflanzenschutzmitteln) ausgesetzt.
Im Jahr 2010 beantragte der Kläger die Anerkennung seiner Parkinson-Krankheit, die mit den ersten Symptomen ungefähr seit dem Jahr 2005 besteht, als BK. Nachdem er eine Liste der von ihm in den letzten 10 Jahren seiner Tätigkeit verwendeten Pflanzenschutz- und Beizmittel vorgelegt und der technische Aufsichtsbeamte F. ihn zu seinem beruflichen Umfeld befragt hatte (Stellungnahme vom 14. Juni 2011), veranlasste die Beklagte die ambulante nervenfachärztliche Untersuchung des Klägers im Städtischen Klinikum G. und die Erstattung des Gutachtens durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr H. vom 10. Oktober 2011. Der Gutachter diagnostizierte ein idiopathisches Parkinson-Syndrom und führte aus: Bei der Mehrzahl der an einem Parkinson leidenden Patienten liege ein sog idiopathisches Parkinson-Syndrom zugrunde, bei dem eine genetische Ursache vermutet werde. In größeren Statistiken werde davon ausgegangen, dass ihm über 90 % der als Parkinson-Syndrom diagnostizierten Fälle zuzuordnen seien. Die restlichen 10 % würden als sog symptomatisches Parkinson-Syndrom bezeichnet, das auch toxisch verursacht werden könne. Von den toxischen Substanzen seien einige bekannt, sie spielten zahlenmäßig aber eine untergeordnete Rolle. Dazu zählten auch synthetische Substanzen aus der Reihe der Pflanzenschutzmittel wie das Herbizid Paraquat, das vornehmlich im Obstbau eingesetzt werde, und Organochloride wie Lindan und DDT. Die vom Kläger vorgelegten Herbizide und Pestizide zählten nach Durchsicht der chemischen Zusammensetzung nicht zu ihnen. Hinzu komme, dass die Wahrscheinlichkeit, an einem idiopathischen Parkinson-Syndrom zu erkranken, viel höher sei. Zusammenfassend hielt der Gutachter fest, dass zum heutigen Zeitpunkt nach dem heutigen medizinischen Wissensstand nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu belegen sei, dass das Parkinson-Syndrom auf häufigem Umgang mit den angeschuldigten Chemikalien zurückzuführen sei. Daraufhin lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Versicherungsfalls ab (Bescheid vom 7. Dezember 2011).
Im Widerspruchsverfahren wies der Kläger auf Studien, die ein erhöhtes Risiko der Erkrankung an Parkinson bei Landwirten, die beruflich häufigen Kontakt zu Pflanzenschutzmitteln hatten, belegten, und auf von der Beklagten bereits anerkannte Versicherungsfälle hin. Des Weiteren rügte er die Ermittlungen des technischen Aufsichtsdienstes, die er nicht für ausreichend hielt. Auch die medizinische Seite des Sachverhalts sei nicht aufgeklärt, Dr I. Gutachten enthalte keine brauchbaren Aussagen zur Kausalitätsfrage. Nachdem der Kläger eine weitere Liste der von ihm in den Jahren 1977 bis 1989 verwendeten Pflanzenschutzmittel vorgelegt hatte, befragte der technische Aufsichtsbeamte J. ihn erneut zum Krankheitsverlauf sowie zum persönlichen und beruflichen Umfeld. Der technische Aufsichtsbeamte hielt in der Stellungnahme vom 21. Mai 2012 fest, dass als Pflanzenschutzmittel hauptsächlich Herbizide, Insektizide und Fungizide eingesetzt worden seien. Eine besondere Schutzausrüstung sei nicht getragen worden. Die übliche Berufskleidung sei nach jeder Spritzarbeit kontaminiert, jedoch nicht gewechselt worden. Das Gleiche gelte für den Einsatz von Beizmitteln. Der Kläger gab an, geeignete Atemschützer oder Schutzhandschuhe seien schwierig einzusetzen gewesen, weil die körperliche Belastung das Tragen nicht zugelassen habe. Der technische Aufsichtsbeamte hielt die Angaben für plausibel und realistisch. Nach seiner Sicht stellten sie keine außergewöhnliche Exposit...