Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Quasi-Berufskrankheit. besondere Einwirkungen. gruppenspezifische Risikoerhöhung. behinderter Schüler. Legasthenie. Dyskalkulie. falsche Schulpädagogik. psychischer Gesundheitsschaden
Orientierungssatz
Zur Nichtanerkennung einer sekundären Neurotisierung wegen falscher Schulpädagogik (hier: Unterlassen einer behinderungsgerechten Förderung) bei einem durch schwere Legasthenie und Dyskalkulie behinderten Schüler als Wie-Berufskrankheit gem § 9 Abs 2 iVm Abs 1 S 2 SGB 7.
Normenkette
SGB VII § 9 Abs. 2, 1 S. 2
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der ... 1989 geborene Berufungskläger ist durch eine schwere Legasthenie und Dyskalkulie behindert. Mit Bescheid vom 14. Oktober 2004 hat das Versorgungsamt H bei ihm wegen Teilleistungsstörung (Legasthenie und Dyskalkulie) mit sekundärer Neurotisierung einen Grad der Behinderung von 60 festgestellt. Die Deutsche Rentenversicherung geht nach ihrem unter dem 25. September 2007 an den Landkreis Lüneburg gemäß § 45 Abs. 1 SGB XII gerichteten Ersuchen von seiner vollen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI aus. Auf dieser Grundlage streiten die Verfahrensbeteiligten im vorliegenden Verfahren darüber, ob die beim Berufungskläger ärztlicherseits festgestellte sekundäre Neurotisierung auf dem Boden seiner Teilleistungsstörung Folge einer unzureichend auf seine individuellen Bedürfnisse eingehenden Beschulung ist und der Berufungskläger hiernach einen Anspruch auf ihre Anerkennung und Entschädigung als eine "Wie-Berufskrankheit" gem. § 9 Abs. 2 SGB VII hat.
Am 11. Mai 2005 beantragte der Berufungskläger bei dem Berufungsbeklagten durch seine sorgeberechtigten Eltern die Anerkennung einer Quasi-Berufskrankheit und ließ zur Begründung unter Vorlage zahlreicher medizinischer Dokumente im Einzelnen vortragen, dass er als schwerer Legastheniker mit zusätzlicher Dyskalkulie durch falsche Schulpädagogik in eine schwere seelische Erkrankung geraten sei. Soweit die Anerkennung und Entschädigung einer Quasi-Berufskrankheit davon abhänge, dass die versicherte Tätigkeit zu einer gruppenspezifischen Erhöhung des Erkrankungsrisikos führe, liege eine solche Gruppentypik für Legastheniker wissenschaftlich belegbar vor.
Mit Bescheid vom 07. Juli 2005 lehnte der Berufungsbeklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass die Erteilung von Schulunterricht keine schädigende Einwirkung bedeute, die für Schüler im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko verbunden sei. Auch fehle es an wissenschaftlichen Erkenntnissen darüber, mit welchen Erkrankungsrisiken eventuelles Mobbing verbunden sei.
Mit seinem am 09. Juli 2005 erhobenen Widerspruch machte der Berufungskläger hiergegen geltend, dass es in seinem Fall nicht um die Folgen von Mobbing, sondern um die Folgen falscher Pädagogik gehe. Es komme auch nicht darauf an, ob der Schulunterricht generell zu einem gegenüber der Allgemeinheit erhöhten Erkrankungsrisiko führe; diese Folge habe er jedenfalls für Legastheniker.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. September 2005 wies der Berufungsbeklagte den Widerspruch zurück. Es gebe keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, dass der Schulunterricht geeignet sei, psychische Erkrankungen herbeizuführen und die exponierte Personengruppe in erheblich höherem Maße als die Allgemeinheit zu gefährden.
Am 11. Oktober 2005 ist Klage erhoben worden. Zur Begründung hat der Berufungskläger geltend gemacht, er habe zu keinem Zeitpunkt speziellen Legasthenie-Unterricht erhalten. Sein diesbezüglicher Anspruch auf Förderung sei unerfüllt geblieben. Für legasthenische Schüler bestehe insoweit eine gruppentypische Risikoerhöhung, psychisch zu erkranken, die sich in seinem Fall auch realisiert habe. Soweit nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 23. Juni 1977) eine Krankheit erst bei Vorliegen gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen werden könne, seien diesbezügliche Belege bereits 2005 zu den Akten des Berufungsbeklagten gereicht worden.
Der Berufungsbeklagte ist der Rechtsauffassung des Berufungsklägers insbesondere mit dem Argument entgegengetreten, ein Unterlassen, wie es der Berufungskläger in Bezug auf eine angemessene Beschulung rüge, stelle keine Einwirkung im Sinne von § 9 Abs. 2 SGB VII dar.
Mit Gerichtsbescheid vom 17. Mai 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Zwar sei der Berufungskläger gem. § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII bei seinem Schulbesuch in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert gewesen, er habe dabei aber nicht einer gegenüber der Allgemeinheit besonders gefährdeten Personengruppe angehört. Diese werde durch diejenigen bestimmt, die bei der jeweiligen v...