Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. keine Kostenübernahme der Behandlungsmethode nach Dr. Kozijavkin bei infantiler Zerebralparese. grundrechtsorientierte Auslegung nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005
Orientierungssatz
1. Bei der Behandlungsmethode nach Dr Kozijavkin handelt es sich nicht um eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung iS von § 18 Abs 1 SGB 5.
2. Es besteht kein Anlass, die Rechtsgedanken einer grundrechtsorientierten Auslegung entsprechend dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 = BVerfGE 115, 25 auf weitläufigere Bereiche auszudehnen, in denen der Gesetzgeber aus wohl erwogenen Gründen den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung bewusst eingeschränkt hat (vgl BSG vom 4.4.2006 - B 1 KR 12/04 R = BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7 RdNr 31 - 32 und BVerfG vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 = SozR 4-2500 § 31 Nr 17 = NJW 2008, 3556).
3. Eine Erkrankung ist nur dann einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung wertungsmäßig vergleichbar, wenn dadurch bei dem Betroffenen eine vergleichbare notstandsähnliche Extremsituation herbeigeführt wird (vgl BSG vom 5.5.2009 - B 1 KR 15/08 R = SozR 4-2500 § 27 Nr 16).
4. Die Auswirkungen einer infantilen Zerebralparese mit Bewegungsstörungen mit einer spastischen Tetraplegie und einer ausgeprägten statomotorischen Retardierung erreichen nicht die Schwelle, welche allgemein für eine grundrechtskonforme erweiternde Auslegung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung zu fordern ist (vgl BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 19/10 R = BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19).
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 3. Februar 2005 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind in keinem Rechtszug zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist im Juli 1978 geboren und bei der Beklagten versichert. Er leidet seit seiner Geburt an einer Zerebralparese mit Bewegungsstörungen mit einer spastischen Tetraplegie und einer ausgeprägten statomotorischen Retardierung. Seit 1993 ließ er sich regelmäßig in dem von dem Neurologen und Chirotherapeuten Prof. Dr. Kozijavkin geleiteten Institut in der Ukraine behandeln. Das von Dr. Kozijavkin entwickelte Konzept hat zum Ziel, innerhalb einer zweiwöchigen Behandlung unter Beteiligung ärztlicher und nichtärztlicher Fachkräfte eine Verbesserung der Bewegungsmöglichkeiten von zerebralparetischen Kindern herbeizuführen. Dazu werden u. a. Akupressur, Akupunktur, Wärmebehandlung mit Bienenwachs, Reflextherapie, Manualtherapie und Krankengymnastik eingesetzt. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Behandlung der Wirbelsäule mit Techniken der Manualtherapie , mit deren Hilfe Wirbelsäulenblockaden gelöst werden sollen. An diese Behandlungsphase schließt sich eine drei- bis zwölfmonatige Stabilisierungsphase an, der wiederum eine zweiwöchige intensive Behandlung in der Ukraine folgt.
Nachdem bereits frühere Anträge des Klägers auf Übernahme der Kosten bei der Beklagten zu Rechtsstreiten geführt hatten, die teilweise für den Kläger mit Erfolg geendet hatten, beantragte dieser die Erteilung weiterer Kostenzusagen für Behandlungen vom 19. September bis 3. Oktober 2000, 10. April bis 24. April 2001, 28. September bis 12. Dezember 2001, 20. März bis 3. April 2002 und 25. März bis 8. April 2003. Diese Anträge lehnte die Beklagte mit den Bescheiden vom 17. August 2000 und 5. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2001, 21. August 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 2001 sowie den Bescheiden vom 6. März 2002 und 26. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 2003 ab.
Der Kläger hat gegen diese Entscheidungen jeweils Klage vor dem Sozialgericht (SG) Stade erhoben. Dieses hat die Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und mit Urteil vom 3. Februar 2005 die Beklagte unter Abweisung des weitergehenden Klagebegehrens verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Auf die Sprungrevision der Beklagten hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 13. Dezember 2005 - B 1 KR 6/05 R - das Urteil des SG aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen zurückverwiesen. Das BSG hat dazu ausgeführt, in der Sache hänge der Klageerfolg davon ab, ob in Bezug auf die Behandlung des Klägers in dem Institut von Prof. Dr. Kozijavkin in der Ukraine in den genannten Zeiträumen die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der damals geltenden Fassung vorgelegen hätten. Dies könne auf der Grundlage der Feststellungen des SG nicht angenommen werden, so dass weitere Ermittlungen erforderlich seien.
Nach § 18 SGB V könne eine Krankenkasse die Kosten einer notwendig...