Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Unfallversicherungsschutz. organisatorischer Verantwortungsbereich. Tageseinrichtung. Hortbetreuung nach der Schule. Arbeitsunfall. sachlicher Zusammenhang. Nahrungsaufnahme nach Schwimmbadbesuch. Verschlucken. Herzstillstand. Privatwirtschaftliche Verrichtung. Äußere Einwirkung

 

Leitsatz (amtlich)

Der unfallversicherungsrechtliche Schutz von Kindern in Tageseinrichtungen nach § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst a SGB 7 ist umfassend. Von ihm wird insbesondere auch die Einnahme von Mahlzeiten umfasst. Differenzierungen nach dem Alter der Kinder sind weder nach dem Gesetzeswortlaut noch nach der Gesetzgebungsgeschichte noch nach Sinn und Zweck der Norm vorzunehmen.

 

Normenkette

SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 8a, § 8; SGB VIII § 22

 

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 11. Januar 2006 wird zurückgewiesen.

Die Berufungsklägerin hat dem Berufungsbeklagten seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Ereignisses vom 3. Dezember 2003 als Arbeitsunfall.

Der 1996 geborene Berufungsbeklagte besuchte im Dezember 2003 neben der allgemeinbildenden Schule den Schülerladen "B. T." in C. Am 3. Dezember 2003 besuchte der Schülerladen mit den Kindern - wie zu dieser Zeit jeden Donnerstag - das D. Bad, um mit den Kindern schwimmen zu gehen. Nach Beendigung des gemeinsamen Schwimmens sammelten sich die Kinder - je nach dem Zeitpunkt des Fertigwerdens mit dem Umziehen und Föhnen - im Vorraum des Schwimmbades. Eine anwesende Erzieherin verteilte an die bereits wartenden Kinder mitgebrachte und vorbereitete Nahrungsmittel (ua Pfannkuchen). Sie entdeckte nach einer Weile den Berufungskläger leblos am Boden und begab sich zu ihm. Sie stellte fest, dass dieser leblos war und der hinzu eilende Bademeister brachte den Berufungsbeklagten in seinen Raum, wo eine Wiederbelebung eingeleitet und der Notarzt verständigt wurde. Aus dem Notarzteinsatzprotokoll ergibt sich, dass bei dem Berufungsbeklagten eine Asystolie, Apnoe sowie eine Prellmarke an der Stirn festgestellt wurden. Es wurde die Diagnose Bolustod gestellt. Bei dem Berufungsbeklagten liegt jetzt eine schwere Mehrfachbehinderung vor mit schwerem kognitiven Defizit, einer Tetraspastik, die zur vollständigen Immobilität, sowie zu Blindheit, Schluck- und Ernährungsstörung, schwerer Einschränkung der verbalen und nonverbalen Kommunikationsfähigkeit, Harn- und Stuhlinkontinenz sowie epileptische Anfällen geführt hat.

Die Berufungsklägerin leitete - auf die Unfallanzeige vom 4. Dezember 2003 hin - Ermittlungen ein und zog unter anderem Unterlagen aus der Medizinischen Hochschule C. (MHH) über die Behandlung des Berufungsklägers (Bericht vom 21. Januar 2004) und unter anderem Zeugenaussagen der Erzieherinnen und eines abholenden Vaters bei (insoweit wird auf die genannten Unterlagen Bezug genommen). Mit Bescheid vom 16. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.November 2004 lehnte sie die Anerkennung des Ereignisses als Unfallereignis im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Zur Begründung wies sie im Wesentlichen darauf hin, die Tätigkeit des Essens, die hier als unfallverursachend in Betracht komme, unterliege nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Zudem sei nicht nachgewiesen, dass der bei dem Berufungsbeklagten eingetretene Herzstillstand auf Pfannkuchenreste zurückzuführen sei, die im Hals des Berufungsbeklagten steckengeblieben seien.

Am 29. Dezember 2004 ist Klage erhoben worden.

Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die schriftliche Aussage des Zeugen E. vom 9. Dezember 2004 beigezogen. Mit Urteil vom 11. Januar 2006 hat es der Klage stattgegeben, den Bescheid der Beklagten vom 16. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2004 aufgehoben und festgestellt, dass der Berufungsbeklagte am 3. Dezember 2003 einen Arbeitsunfall erlitten hat. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen darauf hingewiesen, der Berufungsbeklagte habe im fraglichen Zeitpunkt unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Dies ergebe sich aus dem weitgehenden Schutz von Kindern während ihres Aufenthalts in Betreuungseinrichtungen. Es sei auch für die Zwecke des Verfahrens genügend nachgewiesen, dass der Herzstillstand des Berufungsbeklagten, der zu erheblichen Folgeschäden geführt habe, auf die Einwirkungen von verschluckten Pfannkuchenresten zurückzuführen sei.

Gegen das am 19. Januar 2006 zugestellte Urteil ist am 13. Februar 2006 Berufung eingelegt worden.

Die Berufungsklägerin macht geltend, der Berufungsbeklagte habe im fraglichen Zeitpunkt nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Der vom SG angenommene weitgehende Schutz von Kindern in Betreuungseinrichtungen beziehe sich nicht auf Kinder, die bereits das Schulalter erreicht hätten. Zudem sei nicht nachgewiesen, dass der Herzstillstand des Berufungsbeklagten auf eingeatmete Pfannkuchenreste zurückzuführen ...

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