Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Facharzt für Urologie. keine Berechtigung zur Abrechnung urinzytologischer Untersuchungen. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Ein Facharzt für Urologie ist nicht berechtigt, die EBM-Ä Nrn 4952 und 4955, die (urin-)zytologische Untersuchungen betreffen, abzurechnen, da sie für ihn fachfremde Leistungen darstellen.
2. Die Qualifizierung urinzytologischer Leistungen als fachfremd für Urologen ist mit den Artikeln 3 Abs 1 und 12 Abs 1 GG vereinbar.
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Abrechnungsfähigkeit von Leistungen nach den Gebührenziffern (Geb.-Ziffn.) 4952 und 4955 des bis 31. März 2005 geltenden Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen (EBM).
Der Kläger, ein Facharzt für Urologie, nimmt an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Seit 1999 erbrachte er Leistungen nach den Geb.-Ziffn. 4952 und 4955 EBM alter Fassung (a.F.), die die Beklagte zunächst ohne Beanstandungen vergütete. Mit Schreiben vom 05. Dezember 2002 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Urinzytologie nach Feststellung der Ärztekammer Niedersachsen für das Fachgebiet Urologie gebietsfremd sei. Gleichzeitig wies sie ihn darauf hin, dass eine Abrechnung der EBM-Ziffern 4952 und 4955 damit ab 01. Januar 2003 nicht mehr möglich sei. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 09. Dezember 2002 - bei der Beklagten eingegangen am 12. Dezember 2002 - Widerspruch ein, zu dessen Begründung er sich auf Bestandsschutz berief. Die Beklagte wies den Widerspruch aus den Gründen der Erstentscheidung mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2003 zurück.
Mit seiner am 10. März 2003 bei dem Sozialgericht (SG) Hannover eingegangenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass Leistungen nach den Geb-Ziffn. 4952 und 4955 EBM a.F. zum Fachgebiet der Urologie gehörten. Die anderweitige Auffassung der Beklagten widerspreche den Gepflogenheiten im gesamten Bundesgebiet. Der EBM gelte bundeseinheitlich und könne nicht von den verschiedenen Kassenärztlichen Vereinigungen unterschiedlich interpretiert werden. Er, der Kläger, habe 1993 die Facharztbezeichnung Urologie unter Geltung der damaligen Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Niedersachsen erworben. Die zytologischen Untersuchungen nach den umstrittenen Gebührenziffern hätten bereits damals zu den gebietsbezogenen Laboratoriumsuntersuchungen gehört und seien schon deswegen auch heute noch insbesondere für ihn nicht fachfremd. Ferner hat der Kläger darauf hingewiesen, dass es in der von der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. und dem Berufsverband der Urologen e.V. gebildeten Fort- und Weiterbildungskommission der deutschen Urologen einen Arbeitskreis Onkologie mit einer Sektion Urinzytologie gebe. Dies belege, dass sich die Urologen intensiv und qualitativ auf anspruchsvollstem Niveau mit der Urinzytologie beschäftigten. Auch dieser Umstand indiziere die Zugehörigkeit der umstrittenen Leistungen zum Gebiet der Urologie. Als onkologisch tätiger Urologe sei er, der Kläger, im besonderen Maße für die Durchführung und Beurteilung der Urinzytologie qualifiziert. Zudem besuche er regelmäßig entsprechende Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen. Das Verbot der Erbringung urinzytologischer Leistungen stelle angesichts seiner persönlichen Qualifikation und der seiner Fachgruppe einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit dar. Schließlich verstoße das ihm gegenüber verhängte Verbot der Leistungserbringung gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Die Bezirksstelle Aurich der Beklagten vergüte den dort ansässigen Urologen die hier streitigen Gebührenziffern weiter.
Das SG hat die Auskünfte der Bundesärztekammer vom 01. März 2004 und der Ärztekammer Niedersachsen vom 03. März 2004 eingeholt. Die Ärztekammer Niedersachsen hat die Auffassung vertreten, dass die Urinzytologie für das Gebiet der Urologie fachfremd sei. Die Bundesärztekammer hat darauf hingewiesen, dass die Durchführung der Urinzytologie nicht direkter Gegenstand des Weiterbildungsganges zur Erlangung der Gebietsbezeichnung "Urologie" sei. Es sei daher nicht sicher gestellt, dass diese Untersuchungsmethode mit Erhalt der Facharztkunde Urologie von jedem Facharzt bzw. jeder Fachärztin erlernt worden sei. Gleichwohl könne "auch aus sozialrechtlicher Sicht" ein Urologe die Urinzytologie durchführen, wenn er die hierzu benötigte Kompetenz nachweisen könne.
Das SG hat mit Urteil vom 27. Oktober 2004 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die zytologischen Untersuchungen nach den Ziffern 4952 und 4955 EBM (a.F.) gehörten nach der Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Niedersachsen nicht zum Fachgebiet der Urologie, sondern zum Fachgebiet der Pathologie. Die Weiterbildungsordnung differenziere zwischen Gebieten, hinsichtlich derer die Vermittlung, der Erwerb und der Nachweis eingehender Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten Ziel der Weit...