Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten. Taxifahrer. Verlust der Fahrerlaubnis und des Personenbeförderungsscheins wegen Drogenkonsums. Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Verhängung von Sperrzeit und Sanktion. Ersatzanspruch nur in Ausnahmefällen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Fahrt eines Taxifahrers unter Drogeneinfluss mit nachfolgendem Verlust der Fahrerlaubnis, des Personenbeförderungsscheins und des Arbeitsplatzes ist nach den Wertungen des SGB II und SGB III ein zu missbilligendes Verhalten, das grundsätzlich sanktions- und sperrzeitrelevant ist.
2. Allein der Umstand, dass eine Sperrzeit und eine Sanktion verhängt worden sind, schließt einen Schadensersatzanspruch nach § 34 SGB II nicht von vornherein aus.
3. Ein Schadensersatzanspruch nach § 34 SGB II kommt allerdings nur für begründete und eng zu fassende Ausnahmefälle in Betracht, weil der Grundsatz, dass existenzsichernde und bedarfsabhängige Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, regelmäßig unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit zu leisten sind, nicht durch eine weitreichende, zeitlich und betragsmäßig nicht begrenzte Ersatzpflicht der Leistungsberechtigten konterkariert werden darf.
4. Steht wie im vorliegenden Fall die Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II infolge des Drogenkonsums erst am Ende einer mehrgliedrigen Kausalkette (Verlust des Führerscheins und Personenbeförderungsscheins, außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses, zu geringe Ansprüche auf Arbeitslosengeld I), entfernt sich der Sachverhalt mit jeder Stufe von einer Ausnahmekonstellation, weil dem Kläger gerade nicht unmittelbar vor Augen stehen musste, dass sein Verhalten unweigerlich zum Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II führen wird.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 20. Februar 2017 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte erstattet dem Kläger auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Beklagte wendet sich mit der Berufung gegen die Aufhebung seines Bescheides durch das Sozialgericht (SG) Lüneburg, mit dem er gegen den Kläger einen Kostenersatzanspruch für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) wegen sozialwidrigen Verhaltens für den Zeitraum vom 1. August 2014 bis zum 31. Januar 2015 geltend macht.
Der 1964 geborene Kläger war seit dem 18. Juni 2012 bis zum 4. August 2014 als Taxifahrer bei der Firma „I. J.“ in K. beschäftigt. Die Beschäftigung endete aufgrund fristloser Kündigung vom 6. August 2014 zum 5. August 2014, da der Kläger seit dem 4. August 2014 nicht mehr im Besitz eines Führerscheins und eines Personenbeförderungsscheins war (vgl. Kündigungsschreiben Bl. 411 der Verwaltungsakte - VA). Der Kläger hatte seine Fahrerlaubnis am 4. August 2014 freiwillig beim Straßenverkehrsamt, L., abgegeben, nachdem dieser ihn mit Schreiben vom 16. Juli 2014 zum Entzug der Fahrerlaubnis wegen Führens eines Kraftfahrzeugs (Taxi) unter Drogeneinfluss am 23. April 2014 angehört hatte. Bei dem Kläger war nach dem Konsum von Cannabis ein Tetrahydrocannabinol (THC)-Wert (aktives THC) von 2,3 ng/ml nachgewiesen worden (vgl. Schreiben des M. vom 16. Juli 2014 unter Bezugnahme auf die Bestätigungsanalyse der Abteilung für Rechtsmedizin der N. -O. - vom 6. Mai 2014, Bl. 441 VA).
Der Beklagte bewilligte dem Kläger auf seinen Antrag vom 8. August 2014 mit Bescheiden vom 7. und 8. Oktober 2014 für den Zeitraum vom 1. August 2014 bis zum 31. Januar 2015 - ab dem 29. Oktober 2014 aufstockend zum Arbeitslosengeld (Alg) I nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) - Leistungen nach dem SGB II. Wegen der Einzelheiten der Leistungsbewilligung wird auf Bl. 419 und 428f. VA Bezug genommen. Mit weiterem Bescheid vom 7. Oktober 2014 stellte der Beklagte eine monatliche Minderung der SGB II-Leistungen in Höhe von 30 Prozent des Regelbedarfs für den Zeitraum vom 6. August 2014 bis zum 5. November 2014 fest; die Agentur für Arbeit K. habe eine Sperrzeit vom 6. August 2014 bis zum 28. Oktober 2014 festgestellt; das Ruhen des Alg stelle eine Pflichtverletzung dar (vgl. die Bescheide der Agentur für Arbeit K. vom 20. August 2014 über den Eintritt einer Sperrzeit und vom 27. August 2014 über die Gewährung von Alg, Bl. 392 ff. VA).
Mit Schreiben vom 24. November 2014 hörte der Beklagte den Kläger zur Geltendmachung eines Ersatzanspruchs bei sozialwidrigem Verhalten an. Der Kläger habe seine Hilfebedürftigkeit möglicherweise vorsätzlich oder grob fahrlässig ohne wichtigen Grund herbeigeführt. Nach den vorliegenden Unterlagen habe der Kläger durch eine besonders schwere Verletzung der ihm im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit obliegenden Sorgfaltspflichten seinen Arbeitsplatz verloren, sod...