Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Grundsicherung bei Erwerbsminderung. Einkommenseinsatz. Besonderheiten bei Unterhaltsansprüchen. Einkommensgrenze von 100.000 Euro bezogen auf das Gesamteinkommen des einzelnen Elternteils. verfassungskonforme Auslegung. sozialgerichtliches Verfahren. Streitgegenstand. Zurückverweisung an Verwaltung. fehlende Feststellungen zur dauerhaften vollen Erwerbsminderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die in § 43 Abs 2 S 1 SGB 12 genannte Einkommensgrenze ist für jeden Elternteil getrennt zu beurteilen. Eine Zusammenrechnung der Einkommen ist unzulässig.

2. Hat das Sozialgericht in Anwendung des § 131 Abs 5 SGG nur die angefochtenen Bescheide aufgehoben, führt dies im Berufungsverfahren bei einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage zu einer Reduzierung des Streitgegenstandes auf den Anfechtungsteil des Klageantrags. Nur dieser wird in der Rechtsmittelinstanz anhängig.

3. Eine Entscheidung nach § 131 Abs 5 SGG kann sachdienlich sein, wenn der Sozialhilfeträger zur Frage der medizinischen Voraussetzungen des § 41 Abs 3 SGB 12 keinerlei Ermittlungen durchgeführt hat, insbesondere kein Ersuchen nach § 45 Abs 1 S 1 SGB 12 an den zuständigen Rentenversicherungsträger gerichtet hat.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 25.04.2013; Aktenzeichen B 8 SO 21/11 R)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 4. Dezember 2008 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt für die Zeit ab August 2007 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII. Dabei ist zwischen den Beteiligten streitig, ob sich die Einkommensgrenze des § 43 Abs 2 Satz 1 SGB XII auf das gemeinsame Einkommen der Eltern oder das jedes einzelnen Elternteils des Hilfebedürftigen bezieht.

Der 1979 geborene Kläger leidet an einer psychischen Erkrankung. Mit Bescheid vom 18. Oktober 2007 wurden bei ihm ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen "G", "B" und "H" festgestellt. Am 15. August 2007 beantragte er bei dem Beklagten die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII. Im Antrag gab er an, dass seine Eltern vermutlich über ein gemeinsames Einkommen ab 100.000,00 € jährlich verfügten. Nach Vorlage der Einkommenssteuerbescheide der Eltern des Klägers für das Jahr 2006 lehnte die namens und im Auftrag des Beklagten handelnde Gemeinde B. den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 16. November 2007 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass das Gesamteinkommen der Eltern des Klägers ausweislich der vorgelegten Einkommenssteuerbescheide für das Jahr 2006 zusammen 105.021,00 € betrage und deshalb dem Kläger gemäß § 43 Abs 2 Satz 6 SGB XII kein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen zustehe. Der Kläger legte gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 11. Dezember 2007 Widerspruch ein. Diesen begründete er damit, dass das Gesamteinkommen seiner Eltern fehlerhaft ermittelt worden sei. So seien von den Einkünften aus Kapitalvermögen noch die Sparerfreibeträge abzuziehen sowie bei seiner Mutter die Aufwendungen für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Darüber hinaus müssten bei seinem selbstständig tätigen Vater Aufwendungen für die Altersvorsorge, Berufsunfähigkeit sowie Kranken- und Pflegeversicherung zumindest anteilig berücksichtigt werden. Denn im Vergleich zu abhängig Beschäftigten müsse er diese Aufwendungen allein ohne einen Arbeitgeberanteil tragen. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2008 als unbegründet zurück. Gemäß § 43 Abs 2 Satz 1 SGB XII dürften Leistungsberechtigte zwar nicht auf Unterhaltsansprüche gegenüber ihren Kindern und Eltern verwiesen werden, dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass Kinder bzw. Eltern über ein jährliches Gesamteinkommen i. S. des § 16 SGB IV von unter 100.000,00 € verfügten. Gesamteinkommen i. S. des § 16 SGB IV sei die Summe der Einkünfte i. S. des Einkommenssteuerrechts. Dies seien bei selbstständiger Tätigkeit der Gewinn und bei anderen Einkunftsarten der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Sozialversicherungsbeiträge sowie Beiträge zu einer angemessenen privaten Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung seien nicht berücksichtigungsfähig. Auch Sparerfreibeträge und negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung könnten nicht einkommensmindernd geltend gemacht werden. Danach habe der Vater des Klägers im Jahre 2006 insgesamt über Einkünfte in Höhe von 71.393,00 € und die Mutter des Klägers über Einkünfte in Höhe von 32.968,00 € verfügt. Das gesamte Einkommen der Eltern des Klägers belaufe sich mithin auf 104.361,00 €.

Der Kläger hat am 27. März 2008 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben, mit der er die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII begehrt hat, hilfsweise die Verpflichtung des Beklagten ...

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