Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragszahnärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten. grundsätzliche Durchführung auf der Grundlage eines Vergleichs von Spartenfallwerten seit 2004. Ermittlung und Quantifizierung eines höheren Behandlungsaufwandes

 

Leitsatz (amtlich)

Prüfungs- und Beschwerdeausschuss für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der vertragszahnärztlichen Versorgung in Niedersachsen sind seit 2004 verpflichtet, eine Prüfung nach Durchschnittswerten grundsätzlich auf der Grundlage eines Vergleichs von Spartenfallwerten durchzuführen.

 

Orientierungssatz

Besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende Umstände müssen bereits auf der ersten Stufe der Wirtschaftlichkeitsprüfung ermittelt und quantifiziert werden (vgl BSG vom 9.3.1994 - 6 RKa 18/92 = BSGE 74, 70 = SozR 3-2500 § 106 Nr 23).

 

Tenor

Auf die Berufungen der Klägerin werden die Urteile des Sozialgerichts Hannover vom 13. April 2011 und die Bescheide des Beklagten vom 16. April 2008 aufgehoben.

Der Beklagte wird verurteilt, über die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise der Klägerin in den Quartalen I/2004, II/2004 und IV/2004 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Der Beklagte und die Beigeladene zu 1. tragen die Kosten der Klage- und Berufungsverfahren mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 2. - 7., die diese selbst tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für die ursprünglich selbstständigen Berufungsverfahren L 3 KA 52/11, L 3 KA 53/11 und L 3 KA 54/11 wird auf jeweils 7.850 Euro, 8.354 Euro und 6.308 Euro festgesetzt. Der Streitwert für das gemeinsame Berufungsverfahren L 3 KA 52/11 wird auf 22.512 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer Wirtschaftlichkeitsprüfung.

Die Klägerin ist seit 2003 zur vertragszahnärztlichen Versorgung in Hannover zugelassen.

In den Quartalen I/2004, II/2004 und IV/2004 überschritt ihr Fallkostendurchschnitt den der Vergleichsgruppe der im Bereich der beigeladenen Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) tätigen Vertragszahnärzte um 106,51 vH bis 146,3 vH. Nachdem der Prüfungsausschuss ihre Praxis im August, September bzw Dezember 2006 für die Wirtschaftlichkeitsprüfung ausgewählt und die Klägerin Widerspruch gegen den daraufhin ergangenen Kürzungsbescheid eingelegt hatte, kürzte der beklagte Beschwerdeausschuss ihr Honorar um insgesamt 22.511,87 Euro. Den Kürzungsbetrag ermittelte der Beklagte anhand der prozentualen Überschreitung, die die Klägerin bei der Abrechnungshäufigkeit einzelner Gebührenpositionen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für zahnärztliche Leistung (Bema-Z) aufwies. Dabei berücksichtigte er teilweise die geringe Fallzahl, die Anfängerpraxis, den erhöhten Zahnersatzanteil und den erhöhten Anteil über 40 Jahre alter Patienten der Klägerin und nahm bei einzelnen Gebührenpositionen auch sachlich-rechnerische Berichtigungen vor (Bescheide vom 16. April 2008).

Gegenüber den Honorarkürzungen hat die Klägerin (quartalsbezogene) Klagen vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Die Rückforderungsbescheide seien rechtswidrig. So habe der Beschwerdeausschuss nur drei der vier Quartale aus 2004 überprüft, obwohl in § 18 Abs 4 der Übergangs-Prüfvereinbarung vom 2. Dezember 2005 ausdrücklich vorgesehen sei, dass alle Quartale des Jahres 2004 zu überprüfen seien. Zudem habe der Ausschuss nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt und zu Unrecht abgerechnete Gebührenpositionen des Bema-Z sachlich-rechnerisch berichtigt. Außerdem seien geltend gemachte Praxisbesonderheiten (hoher Ausländeranteil, besondere Altersstruktur der Patienten und geringe Fallzahl) nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Das SG hat die Klagen mit den (quartalsbezogenen) Urteilen vom 13. April 2011 abgewiesen. Die angefochtenen Honorarkürzungsbescheide seien nicht zu beanstanden. Die isolierte Überprüfung einzelner Quartale aus dem Jahr 2004 verstoße nicht gegen § 18 Abs 4 der Übergangs-Prüfvereinbarung vom 2. Dezember 2005, weil sich diese Regelung nur an die Vertragspartner der Gesamtverträge auf Landesebene richte und die Vertragszahnärzte hiervon nicht betroffen seien. Zudem sei die Regelung durch eine ergänzende Vereinbarung vom 31. Mai 2007 ohne Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot aufgehoben worden. Ferner habe die Kammer keine Zweifel daran, dass die Klägerin in den Quartalen I/2004, II/2004 und IV/2004 unwirtschaftlich behandelt habe; weder der hohe Anteil an Ausländern noch die von ihr geltend gemachte Patientenstruktur oder die niedrigen Fallzahlen stellten Praxisbesonderheiten dar. Auch bei der Ermittlung der Mehrkosten, die durch die unwirtschaftliche Behandlungsweise der Klägerin entstanden sind, seien Ermessensfehler des Beklagten nicht ersichtlich.

Gegen diese Urteile (zugestellt am 29. April 2011 bzw am 3. Mai 2011) wendet sich die Klägerin mit ihren Berufungen vom 3. Mai 2011, die der Senat mit Beschluss vom 30. Juni 2011 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. Im ...

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