Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts bei Schwarzarbeit
Orientierungssatz
1. Hat ein Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt und kann dadurch die Beitragspflicht und -höhe des Arbeitnehmers nicht festgestellt werden, so kann der Rentenversicherungsträger nach § 28 f Abs. 2 SGB 4 den Beitrag von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen. Soweit er die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann, hat er diese zu schätzen.
2. Bei seiner Schätzung kann sich der Rentenversicherungsträger auf die Feststellungen des Finanzamtes und der dort vorgenommenen Schätzung der tatsächlich geflossenen Zahlungen stützen.
3. Ist zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein Nettoarbeitsentgelt vereinbart, so gelten als Arbeitsentgelt die Einnahmen des Beschäftigten einschließlich der darauf entfallenden Steuern und der seinem Anteil entsprechenden Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung. Bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen gilt ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart.
4. Nach § 25 Abs. 1 S. 2 SGB 4 gilt für vorsätzlich vorenthaltene Beiträge die dreißigjährige Verjährungsfrist.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 13.11.2014 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.318,83 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen einen auf § 28p Abs. 1 Satz 5 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) gestützten Bescheid der Antragsgegnerin, mit dem diese ihn auf Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung für den Zeitraum vom 1.12.2006 bis zum 30.6.2012 nebst Säumniszuschlägen (§ 24 SGB IV) in Anspruch nimmt.
Der Antragsteller betreibt seit dem Jahr 2006 einen mobilen Einzelhandel mit Fisch, Meeresfrüchten und Fischerzeugnissen. Er übernahm den Betrieb von seinem Vater, Herrn N S, nachdem dieser nach einer Betriebs- und Steuerfahndungsprüfung erhebliche Steuerrückstände nicht beglichen hatte (Gewerbeabmeldung v. 31.3.2001). Der frühere Betriebsinhaber übertrug in diesem Zuge den Fuhrpark und das weitere bewegliche Anlagevermögen auf die Mutter des Antragstellers, Frau N1 S. Das Betriebsgelände einschließlich Wohngebäude übertrug er auf den Antragsteller und dessen Schwester, Frau S S. Gegenstand der unternehmerischen Tätigkeit des Antragstellers ist der Verkauf von Fisch und Fischbrötchen auf Märkten, (Schützen-) Festen sowie weiteren Sonderveranstaltungen, etwa der Internationalen Montgolfiade in X.
Anlässlich einer ab Oktober 2012 bei dem Antragsteller und dessen Mutter durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung stellte das Finanzamt (FA) M fest, dass in den Betrieben des Antragstellers sowie seiner Mutter Lohnzahlungen nicht ordnungsgemäß aufgezeichnet wurden. Das FA M traf daraufhin gestützt auf Zeugenaussagen diverser Verkaufskräfte (z.B. Aussagen der Mitarbeiterinnen T, N, T1 und L), den tatsächlichen Gegebenheiten und den vertraglichen Regelungen über die Marktbeschickung zur Ermittlung der Steuerschuld eine einheitliche Stundenkalkulation, auf deren Inhalt wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird.
Nachdem das FA M der Mutter des Antragstellers gegenüber unter dem 4.12.2013 einen Haftungsbescheid über 121.564,71 Euro erlassen hatte, setzte das Finanzgericht (FG) Münster die Vollziehung des Bescheides in Höhe von 50 % der Haftungssumme vorläufig aus (Beschluss v. 28.4.2014, Az.: 7 V 963/14 L). Nach summarischer Prüfung sei nicht ernstlich zweifelhaft, dass Schwarzlöhne an die Arbeitnehmer gezahlt worden seien. Auch die Schätzung sei nicht zu beanstanden. Insbesondere seien keine ordnungsgemäßen Aufzeichnungen über die erfolgten Lohnzahlungen vorgelegt worden. Allerdings ergäben sich ernstliche Rechtmäßigkeitsbedenken aus dem Ansatz der erfassten Schwarzlöhne sowie an der vorgenommenen Besteuerung aus der Übernahme der Steuerabzugsbeträge der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung. Auf die Gründe des Beschlusses wird Bezug genommen. In einem zuvor anhängig gewesenen Verfahren hatte das FG Münster die Auffassung vertreten, dass eine von dem FA M angenommene Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zwischen dem Antragsteller und seiner Mutter nicht bestanden habe (Beschluss v. 2.9.2013).
Über die gegen den Haftungsbescheid vom 4.12.2013 erhobene Klage vor dem FG Münster (Az.: 7 K 2862/13 L) ist noch nicht entschieden worden.
Auch das Hauptzollamt (HZA) C führte u.a. gegen den Antragsteller und dessen Mutter ein Ermittlungsverfahren, welches zur Anklageerhebung am 12.5.2015 vor dem Landgericht (LG) Paderborn geführt hat (Staatsanwaltschaft [StA] Q, Az. 000). Das LG hat über die Eröffnung der Hauptverhandlung bisher noch nicht entschieden.
Nachdem das FA und das HZA ihre Ermittlungserkenntnisse der Antragsgegnerin übermittelt hatten, erhob diese nach vorh...