Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen aufgrund des equal-pay-Prinzips. …. Streitwert des Beschwerdeverfahrens
Orientierungssatz
1. Nach § 10 Abs. 4 AÜG hat der Verleiher dem Leiharbeitnehmer die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren, wenn die Vereinbarung zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nach § 9 Nr. 2 AÜG unwirksam ist. Dies ist u. a. dann der Fall, wenn ein angewendeter Tarifvertrag unwirksam ist.
2. Der Beitragsanspruch des Sozialversicherungsträgers entsteht nach § 22 Abs. 1. S. 1 SGB 4 entsprechend dem Entstehungsprinzip selbst dann, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt nicht gezahlt hat.
3. Der gute Glaube an die Tariffähigkeit einer Vereinigung ist nicht geschützt; ein Vertrauensschutz ergibt sich auch nicht aus vorausgegangenen Betriebsprüfungen bzw. aus dem Verhalten anderer Stellen.
Normenkette
AÜG § 10 Abs. 4, § 9 Nr. 2 Sätze 1-2; SGB IV § 14 Abs. 1 S. 1, § 22 Abs. 1 Sätze 1-2, § 23 Abs. 1 S. 2, § 25 Abs. 1 Sätze 1-2, § 28e Abs. 1 S. 1, § 28f Abs. 2 S. 3, § 28p Abs. 1 Sätze 2-3, 5; TVG § 2 Abs. 1-3; SGG § 86a Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nrn. 1-2, 5, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 96 Abs. 1, § 197a Abs. 1 S. 1, § 202 S. 1; SGB X § 33 Abs. 2; SGB V § 226 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; SGB XI § 57 Abs. 1 S. 1; SGB VI § 162 Nr. 1; SGB III § 342; BGB § 166 Abs. 1, § 276 Abs. 2; GKG § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 4; ArbGG § 2a Abs. 1 Nr. 4
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 31.1.2013 geändert. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 6.7.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2012 und des Bescheides vom 17.8.2015 wird hinsichtlich der Beitragsforderung für den Zeitraum vom 1.1.2007 bis 31.12.2009 abgelehnt.
Die Kosten des Antragsverfahrens tragen die Antragstellerin zu 3/4 und die Antragsgegnerin zu 1/4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 15.381,27 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen einen Betriebsprüfungsbescheid der Antragsgegnerin, mit dem diese sie auf Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in Anspruch nimmt.
Die Antragstellerin verfügt über die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Überlassung von Arbeitnehmern. Sie verwies in den Arbeitsverträgen der von ihr beschäftigten Leiharbeitnehmer für den Zeitraum vom 1.12.2005 bis 31.12.2009 auf den mit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) abgeschlossen Tarifvertrag.
Im Anschluss an die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14.12.2010 zur Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft CGZP, deren Gründe am 28.2.2011 veröffentlicht wurden, führte die Antragsgegnerin eine am 25.5.2012 abgeschlossene Betriebsprüfung bei der Antragstellerin unter der Betriebsnummer 000 für den Prüfzeitraum vom 1.12.2005 bis 31.12.2009 durch. Nach im September 2011 mit der Antragsgegnerin geführten Telefonaten nahm die Antragstellerin im Dezember 2011 Ermittlungen zu den in den Entleihunternehmen gezahlten Löhnen vor.
Die Antragsgegnerin forderte sodann Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 83.373,76 Euro von der Antragstellerin nach (Bescheid vom 6.7.2012). Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, in den Arbeitsverträgen zwischen der Antragstellerin und den bei ihr beschäftigten Leiharbeitnehmern werde für den gesamten Prüfzeitraum auf die mit der CGZP geschlossenen Tarifverträge verwiesen. Auf der Basis der dort vorgesehenen Vergütungen habe die Antragstellerin die Beiträge für die Leiharbeitnehmer gezahlt sowie Meldungen und Beitragsnachweise zur Sozialversicherung abgegeben. Wegen der Unwirksamkeit des Tarifvertrages hätten die Beiträge jedoch nach § 10 Abs. 4 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) nach den Entgeltansprüchen vergleichbarer Arbeitnehmer der Stammbelegschaft des Entleihers berechnet werden müssen. Sie, die Antragsgegnerin, habe die Höhe der Arbeitsentgelte geschätzt. Hierzu sei sie nach § 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV befugt gewesen. Denn die personenbezogene Ermittlung der geschuldeten Arbeitsentgelte sei aufgrund der großen Anzahl der zu prüfenden Beschäftigungsverhältnisse, der zum Teil sehr kurzen Dauer der jeweiligen Beschäftigungsverhältnisse, der Anzahl der Entleiher und der Dauer der jeweiligen Überlassungszeiträume im Prüfzeitraum - wenn überhaupt - nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich. Eine große Anzahl dieser Beschäftigungsverhältnisse habe kein ganzes Jahr gedauert, oder es hätten sich unterjährig die Entleiher geändert, die bis dato den eigenen Betrieb eingestellt hätten. Es zeigten sich für die Gruppe der Helfer die folgenden prozentualen Lohnabstände zu den vergleichbaren Stammarbeitnehmern:
12.2005: 16,82 %
2006: 22,01 %
2007: 20,81 %
2008: 22,03 %
2009: ...