Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Entleihers für die Zahlung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge bei Arbeitnehmerüberlassung

 

Orientierungssatz

1. Bei Beitragsbescheiden verlagert § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko grundsätzlich auf den Adressaten. Daher ist für die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz maßgeblich, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung im Eilverfahren mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht. Ausreichend ist nicht, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen erforderlich sind.

2. Im Fall der Arbeitnehmerüberlassung ist in arbeitsrechtlicher Hinsicht der Entleiher Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers, wenn der Vertrag zwischen dem Leiharbeitnehmer wegen Fehlens der erforderlichen Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung unwirksam ist.

3. Arbeitnehmerüberlassung liegt vor, wenn der Verleiher dem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung stellt, die voll in den Betrieb des Entleihers eingegliedert sind und ihre Arbeit allein nach dessen Weisungen ausführen.

4. Fehlen überzeugende Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Werkvertrages zugunsten des Verleihers und haben die eingesetzten Arbeitskräfte ihre Arbeit auf der Grundlage einer Eingliederung in den Betrieb des Entleihers verrichtet, so haftet der Entleiher für die Gesamtsozialversicherungsbeiträge gesamtschuldnerisch mit dem Verleiher.

5. Die in § 28 e Abs. 2 S. 4 SGB 4 angeordnete gesamtschuldnerische Haftung zwingt die Einzugsstelle dazu, bei der Auswahl des Haftungsschuldners Ermessen auszuüben. Dies kann aber auch erst auf der Vollstreckungsebene erfolgen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.03.2009 geändert. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 08.12.2008 wird abgelehnt. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.858,05 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen einen Bescheid, mit dem die Antragsgegnerin von ihr für den Zeitraum von 02.02. bis 30.11.2004 Sozialversicherungsbeiträge für angeblich von der B L C GmbH im Zeitraum vom 02.02. bis zum 30.11.2004 illegal an sie überlassene Arbeitnehmer fordert.

Die Antragstellerin ist ein seit 1981 im Baugewerbe tätiges Unternehmen. Sie beschäftigt sich mit Rohbauarbeiten im Hochbau sowie allen damit im Zusammenhang stehenden Geschäften.

Die B L C GmbH, deren geschäftsführende Alleingesellschafterin die kaufmännische Angestellte B1 L1 war, entstand am 12.01.2004 durch Umfirmierung aus einer Vorratsgründung. Offiziell war der Unternehmensgegenstand die Betreuung und Ausführung von Bauleistungen, tatsächlich jedoch - zumal Frau L1 und ihr als faktischer Geschäftsführer im Betrieb tätiger Ehemann über keinerlei Kenntnisse aus der Baubranche verfügten - in der nicht genehmigten Gestellung u.a. ausländischer insbesondere britischer Arbeitskräfte an Drittfirmen. Die von diesen Kräften erbrachten Bauleistungen rechnete die B L C GmbH gegenüber den Drittfirmen als Bauleistungen ab. Wegen Steuerhinterziehung in 17 Fällen im Zusammenhang mit der Tätigkeit der B L C GmbH wurde Frau L1 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt (LG Bochum, Urteil v. 18.06.2007, 2 (10) Kls 35 Js 161/06 Teil 2). Der am 13.03.2006 gestellte Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der B L C GmbH wurde mangels Masse abgelehnt (AG Dortmund, Beschluss v. 17.10.2006, 259 IN 111/06).

Die Antragstellerin und die B L C GmbH schlossen zwischen dem 16.02.2004 und dem 26.05.2004 mindestens fünf "Nachunternehmerverträge" betreffend verschiedene Bauvorhaben in N, E und L2 (hinsichtlich der Einzelheiten wird verwiesen auf die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin).

Am 01.08.2006 wurden im Zusammenhang mit Ermittlungen des Hauptzollamtes (HZA) C1 zur Aufdeckung von Schwarzarbeit gegen die Antragstellerin deren Geschäftsräume durchsucht, wobei u.a. 28 Originalrechnungen der B L C GmbH an die Antragstellerin sowie 2 Freistellungs- und 3 Unbedenklichkeitsbescheinigungen der B L C GmbH aufgefunden wurden. Die Rechnungen datierten aus dem Zeitraum vom 20.02.2004 bis 06.12.2004. Weitere Ermittlungen ergaben, dass die Antragstellerin der B L C GmbH auf die verschiedenen Rechnungen insgesamt einen Betrag in Höhe von 75.091,59 Euro überwiesen hatte. Im Abschlussbericht des HZA gegenüber der Staatsanwaltschaft N vom 31.05.2007 betreffend die Ermittlungen gegen den Gesellschafter-Geschäftsführer der Antragstellerin, Q T, heißt es u.a.: "Nach hiesiger Bewertung ... wird angenommen, dass eine Arbeitnehmerüberlassung z.Zt. nicht nachzuweisen ist. Eine Integration der Leiharbeitnehmer in den Betriebsablauf des Entleiherunternehmens, hier Fa. T Bauunternehmen, kann nicht nachgewiesen werden".

Mit Bescheid vom 08.12.2008 verlangte di...

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