Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang der Prüfungspflicht des Zulassungsausschusses bei beantragter Verlegung des Vertragsarztsitzes

 

Orientierungssatz

1. Die ungenehmigte Verlegung des Vertragsarztsitzes innerhalb eines Planungsbereiches führt nicht zum Entfallen der Zulassung und infolgedessen zum Verlust des Verlegungsanspruchs. § 95 Abs. 7 SGB 5 erfasst nicht die Verlegung des Vertragsarztsitzes innerhalb des Zulassungsbezirks.

2. Der Zulassungsausschuss darf den Antrag eines Vertragsarztes auf Verlegung seines Vertragsarztsitzes nur genehmigen, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen.

3. Damit muss eine Sitzverlegung unter Berücksichtigung der konkreten Versorgungslage in dem betreffenden Versorgungsbereich geprüft werden. Den Zulassungsgremien steht ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu.

4. Hat der Zulassungsausschuss bei seiner Entscheidung die bestehende Versorgungslage nicht geklärt, so stellt dies einen Verfahrensfehler dar, der zur Aufhebung des ablehnenden Bescheides und der Verpflichtung des Zulassungsausschusses führt, die Angelegenheit neu zu entscheiden.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 04.10.2013 abgeändert. Der Beklagte wird unter Abänderung seines Beschlusses vom 09.05.2012 verurteilt, über den Widerspruch des Beigeladenen zu 6) gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 19.10.2011 (Bescheid vom 09.01.2012) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.

Der Beklagte und der Beigeladene zu 6) tragen die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die dem Beigeladenen zu 6) erteilte Genehmigung zur Verlegung seines Vertragsarztsitzes.

Der Beigeladene zu 6) ist Facharzt für Urologie und im Rahmen einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft am Vertragsarztsitz I, Q-straße 00, zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Partner der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft ist der Facharzt für Urologie L mit dem Vertragsarztsitz I1, T-straße 00.

Der Zulassungsausschuss für Ärzte L (Zulassungsausschuss) lehnte den Antrag des Beigeladenen zu 6), die Verlegung seines Vertragsarztsitzes nach I1, T-straße 00, zur Fortführung der Berufsausübungsgemeinschaft mit dem Facharzt für Urologie L zu genehmigen, mit Beschluss vom 19.10.2011, als Bescheid ausgefertigt unter dem 09.01.2012, ab. Zur Begründung gab der Zulassungsausschuss an, die Entfernung zwischen I und I1 betrage 16 Kilometer. Die Verlegung hätte zur Folge, dass in I eine Versorgungslücke entstehe.

Mit seinem Widerspruch führte der Beigeladene zu 6) aus, die Feststellungen des Zulassungsausschusses seien ebenso falsch wie unzureichend. Die einzige Feststellung des Ausschusses sei die fehlerhafte Angabe der Entfernung zwischen den Vertragsarztsitzen. Diese betrage nicht 16, sondern lediglich 12 Kilometer. Unabhängig davon sei nach der Rechtsprechung den Versicherten im Rahmen der fachärztlichen Versorgung auch eine Entfernung von 16 Kilometern oder mehr zumutbar, so dass ein lokaler Versorgungsbedarf der Verlegung des Praxissitzes nicht entgegenstehe. Im Übrigen sei ein Versorgungsbedarf von den Zulassungsgremien zu ermitteln. Der Zulassungsausschuss habe allerdings die notwendigen Sachverhaltsermittlungen nicht vorgenommen, so dass bereits dies zur Aufhebung des Beschlusses führen müsse. Ein lokaler Versorgungsbedarf könne sich aus einer besonderen Lage eines Ortes ergeben, etwa bei weiter Entfernung von Nachbarschaftsorten oder einer schlechten Verkehrsanbindung. Das Vorliegen eines Versorgungsdefizits hänge jedoch von einer Vielzahl von Faktoren ab, unter anderem von Zahl und Leistungsangebot der niedergelassenen Ärzte, Bevölkerungs- und Morbiditätsstruktur, Umfang und räumlicher Verteilung der Nachfrage aufgrund vorhandener Verkehrsverbindungen. Ein lokaler Versorgungsbedarf liege aber dann nicht vor, wenn Vertragsärzte der maßgeblichen Arztgruppe sowohl in der nahe gelegenen Großstadt wie auch in einer anderen Stadt bzw. Gemeinde des jeweiligen Landkreises mit öffentlichen Verkehrsmitteln problemlos erreicht werden könnten. Dies sei vorliegend der Fall; Vertragsärzte für Urologie seien nicht nur in der nächstgelegenen "Großstadt" B, sondern auch in der nächstgelegenen Stadt des Landkreises, namentlich in I1, in zumutbarer Entfernung erreichbar. Zu berücksichtigen sei auch, dass in der Gemeinde I keine Kardiologen, Fachärzte für Lungen- und Bronchialheilkunde, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, Physikalische und Rehabilitative Medizin oder auch Radiologen ansässig seien. Um Fachärzte dieser Fachrichtungen aufzusuchen, müssten die Versicherten gleichfalls entsprechende Wegstrecken auf sich nehmen, ohne dass seitens des Zulassungsausschusses Bestrebungen bestünden, einen etwaigen lokalen Versorgungsbedarf zu beseitigen. Im Übrigen rechne sich der Standort I nicht; er solle aus rei...

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