Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer laufender besonderer Bedarf. Kosten für die Kryokonservierung von Samenzellen. krankheitsbedingte Gefährdung der Fertilität nach Stammzellentransplantation und Chemotherapien
Orientierungssatz
Die Kosten für eine aus medizinischen Gründen notwendige Kryokonservierung von Samenzellen können einen nach § 21 Abs 6 SGB 2 anzuerkennenden Bedarf darstellen.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 21.03.2019 geändert. Der Bescheid vom 12.10.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2018 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, dem Kläger unter Änderung der Bewilligungsbescheide vom 18.04.2017, 15.05.2017, 17.07.2017, 05.09.2017 und 11.12.2017 weitere 297,50 EUR für Oktober 2017 zu zahlen. Der Beklagte hat die Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme von Kosten der Kryokonservierung von Samenzellen des Klägers streitig.
Der 1998 geborene Kläger bezieht in Bedarfsgemeinschaft mit seinen Eltern und Geschwistern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Im Jahr 2014 wurde bei ihm ein Immundefekt (septische chronische Granulomatose) diagnostiziert. Wegen der daher notwendigen Knochenmarkttransplantationen und Chemotherapien bestand bei dem Kläger die Gefahr eines Fertilitätsverlustes. Dem Kläger wurde deshalb ärztlicherseits die Kryokonservierung körpereigener Spermienzellen empfohlen. Aufgrund eines Vertrages vom 30.09.2014 lagerte die Fa. D GmbH Spermien des Klägers ein. Die Kosten für die Kryokonservierung betragen 297,50 EUR/Jahr.
Die Barmer GEK als für den Kläger zuständige Krankenkasse des Klägers lehnte die Übernahme der Kryokonservierungskosten mit Bescheiden vom 16.10.2014 und vom 31.10.2014 ab, da es sich nicht um eine Kassenleistung handele.
Mit Bescheiden vom 18.04.2017 und Änderungsbescheiden vom 25.04.2017, 15.05.2017, 17.07.2017, 05.09.2017 und 11.12.2017 bewilligte der Beklagte den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft einschließlich des Klägers Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dem Kläger wurden im Oktober 2017 zuletzt Leistungen iHv 363,47 EUR bewilligt (327 EUR Regelbedarf + 7,52 EUR Warmwasserpauschale + 190,95 EUR kopfteilige Unterkunfts- und Heizbedarfe - 162 EUR bereinigtes Kindergeld (192 EUR Kindergeld - 30 EUR Versicherungspauschale)).
Mit Rechnung vom 18.09.2017 stellte die Fa. D GmbH dem Kläger für die Kryokonservierung vom 02.10.2017 bis zum 02.10.2018 297,50 EUR, zahlbar bis zum 02.10.2017, in Rechnung. Am 06.10.2017 beantragte der Kläger unter Beifügung der Rechnung und des zugrunde liegenden Vertrages die Übernahme dieser Kosten bei dem Beklagten.
Mit Bescheid vom 12.10.2017 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die Kryokonservierung sei eine Maßnahme zur persönlichen Familienplanung und diene nicht der Sicherung des Lebensunterhalts. Zudem bestehe kein unabweisbarer Bedarf, da der Kläger die jährlichen Kosten aus der Versicherungspauschale iHv monatlich 30 EUR, um die das anzurechnende Kindergeld reduziert worden sei, ansparen könne. Am 10.11.2017 legte der Kläger Widerspruch ein. Die Familienplanung sei ein elementares Bedürfnis, welches bei ihm nur durch die Einlagerung des Keimmaterials habe gesichert werden können. Ein Verweis auf Absetzbeträge sei nicht zulässig. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2018 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Kosten für die Einlagerung von Keimmaterial zur Erfüllung eines späteren Kinderwunsches fielen nicht unter die Regelung des § 21 Abs. 6 SGB II. Die krankheitsbedingte Unfähigkeit, Nachkommen erzeugen zu können, begründe keinen Ausschluss vom gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.
Hiergegen hat der Kläger am 03.05.2018 Klage bei dem Sozialgericht Duisburg erhoben. § 21 Abs. 6 SGB II sei in Ausführung des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 - ergangen und im Lichte dieser Entscheidung auszulegen. Danach seien Kosten für den Erhalt der Möglichkeit, eigene Kinder zu haben, ein unabweisbarer Bedarf. Wenn nach den Durchführungshinweisen der Bundesagentur für Arbeit Kosten für Hygieneartikel, die Wahrung des Umgangsrechts und für Haushaltshilfen als unabweisbar angesehen würden, seine Kryokonservierungskosten erst recht als notwendig anzuerkennen.
Der Kläger hat eine nach Durchführung der Stammzellentransplantation und Chemotherapie erfolgte Ejakulatanalyse der Urologischen Praxisklinik G vom 21.11.2016 vorgelegt. Zwei Ejakulatproben des Klägers haben keinen Nachweis von Spermien mehr erbracht.
Im Verhandlungstermin vom 21.03.2019 hat der Kläger mitgeteilt, er habe das Geld für die Einlagerung des Keimmaterials von Familienangehörigen geliehen und in der Vergangenheit keine Aufwendungen für Versicherungen gehabt.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 18.04.2017 in d...