Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Vereinigung. Aufrechnungsbefugnis von Altschulden einer Einzelpraxis gegen Abschlagszahlungen einer neu betriebenen Gemeinschaftspraxis
Orientierungssatz
1. Die öffentlich-rechtliche Bindung des Honoraranspruchs kann nicht dadurch unterlaufen werden, dass ein Vertragsarzt, zu dessen vertragsärztlichen Pflichten die Rückzahlung überzahlten Honorars gehört, sich durch Gründung einer Gemeinschaftspraxis dieser Verpflichtung entzieht.
2. Die Auffassung des BGH vom 22.1.2004 - IX ZR 65/01 = BGHZ 157, 361, dass ein Rechtsanwalt, der sich mit einem bisher als Einzelanwalt tätigen anderen Rechtsanwalt zur gemeinsamen Berufsausübung in einer Sozietät in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zusammenschließe, nicht entsprechend § 28 Abs 1 S 1 iVm § 128 S 1 HGB für die im Betrieb des bisherigen Einzelanwalts begründeten Verbindlichkeiten hafte, lässt sich nicht auf den Bereich der Aufrechnung von Altschulden eines Vertragsarztes mit Abschlagszahlungen an eine Gemeinschaftspraxis übertragen.
3. Der von einer Kassenärztlichen Vereinigung vorgenommenen Verrechnung des Schuldsaldos eines Vertragsarztes über das Konto einer Gemeinschaftspraxis steht die Vorschrift des § 719 Abs 2 BGB nicht entgegen.
4. Die von einer Kassenärztlichen Vereinigung vorgenommene Verrechnung der Altschulden mit den an die Gemeinschaftspraxis geleisteten Abschlagszahlungen verstößt auch nicht gegen die Vorschriften der InsO und stellt auch keine Umgehung der einschlägigen Vorschriften dar.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 06.11.2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob ein Schuldsaldo des Klägers Drs. P aus der Zeit des Betreibens seiner Einzelpraxis vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf das Konto einer dann mit dem Kläger L betriebenen Gemeinschaftspraxis übertragen und aufgerechnet werden darf.
Die Kläger betrieben bis zum 31.05.1999 als zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Radiologen in getrennten Praxisräumen in C jeweils eine Einzelpraxis. Mit Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 10.05.1999 (Az.: 82 IN 15/99) wurde über das Vermögen des Klägers Drs. P das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet. Bei ihm war bis zum Quartal I/1999 ein Schuldsaldo in Höhe von 81.289,82 DM aufgelaufen (Kontoauszug Quartal I/1999 vom 16.07.1999). Dieser Schuldsaldo resultierte aus den letztlich nicht realisierten Einbehaltungen von je 60.000,00 DM in den Quartalen III/1999 und IV/1999, mit denen der Kläger Drs. P sich einverstanden erklärt hatte. Grundlage dafür war der Vergleich vom 09.09.1998 über Rückzahlung von zu Unrecht abgerechnetem Honorar in den Zeiträumen der Quartale III/1996 bis I/1998. Vom 1. Juni 1999 bis Februar 2000 führten die Kläger in den Praxisräumen des Klägers L eine Gemeinschaftspraxis. Mit einem an diese gerichteten Schreiben vom 27.09.1999 teilte die Beklagte mit, das Konto der Gemeinschaftspraxis mit dem Schuldsaldo des Klägers Drs. P zu belasten. Demzufolge verrechnete die Beklagte in den Kontoauszügen für das Quartal II/1999 (Auszug vom 18.10.1999) und III/1999 (Auszug vom 14.01.2000) jeweils 10.000,00 DM und in dem Kontoauszug für das Quartal IV/1999 (Auszug vom 14.04.2000) einen Betrag von 10.000,00 DM und 51.289,82 DM.
Ihre gegen die Quartalsabrechnung erhobenen Widersprüche (Schreiben vom 10.11.1999; 11.02.2000 und 15.05.2000) begründeten die Kläger damit, die Verrechnung des Schuldsaldo des Klägers Drs. P mit Forderungen, die über das Gemeinschaftskonto liefen, sei rechtswidrig. Bis zum 31.05.1999 hätten die Kläger jeweils eine radiologische Einzelpraxis unter verschiedenen Anschriften geführt. Dementsprechend habe jeder allein an der vertragsärztlichen Versorgung teilgenommen und demzufolge gemäß § 85 Abs. 4 des Sozialgesetzbuches (SGB) V einen Anspruch auf die Teilnahme an der Gesamtvergütung erworben. Die Gründung der Gemeinschaftspraxis stelle eine Zäsur dar. Die in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts betriebene Gemeinschaftspraxis habe seit dem 01.06.1999 einen eigenen Anspruch auf Teilhabe an der Vergütung, denn sie stelle ein eigenes Rechtssubjekt dar. Dies werde bereits dadurch deutlich, dass die Gemeinschaftspraxis eine neue Vertragsarztnummer erhalten habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.08.2000 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Verrechnung beruhe auf § 8 Abs. 3 Satz 4 der Abrechnungsrichtlinien der Beklagten (Fassung vom 09.05.1998). Danach sei die Verwaltungsstelle bei Überzahlungen zur Verrechnung mit den Abschlagszahlungen verpflichtet. Der Argumentation der Kläger, bei den Einzelpraxen und der dann betriebenen Gemeinschaftspraxis handele es sich um verschiedene Rechtssubjekte, sei nicht zu folgen. Andernfalls wäre es möglich, dass sich ein Schuldner...